Alles ist Dada?
Zu den Gedichten und dem Leben von Emmy Hennings
Nick Lüthi
In diesem Frühjahr sind zwei Bücher erschienen, die das Werk von Emmy Hennings neu erschliessen und aus gänzlich unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Ein Comic und eine Gedichtsammlung.
Seit 2016 erscheint im Wallstein Verlag die von Nicola Behrmann, Christa Baumberger und Simone Sumpf herausgegebene Studienausgaebe der Werke Emmy Hennings. Nach dem prosaischen Werk in 2 Bänden, erschien zu Beginn des Jahres der dritte Band, in dem das komplette lyrische Werk von Hennings verpackt wurde. Fast 700 Seiten sind es, die einem da entgegenschlagen, wobei fast die Hälfte davon auf den umfassenden Kommentarapparat und das Nachwort entfällt. Wie aus diesem Apparat schnell klar wird, war die Arbeit an diesem Band sisyphusgleich und vielteilig. Aus verschiedensten Archiven, Veröffentlichungen, handbeschrifteten Notizblättern haben Behrmann, Sumpf und Louanne Burkhardt die Gedichte zusammen getragen, datiert und in die nun vorliegende, vorzüglich edierte Form gebracht. Viele der Gedichte sind hier erstmals verfügbar.
O, du gütiges Morphium, nimm mir meine Ängste.
Laß mich träumen von den glücklichen Tagen meiner Kindheit.
Gib mir den Geliebten meiner Jugend.
Führe mich in die Wälder meiner Heimat.
Führe mich auf die Zinnen von nôtre dame.
Zeige mir die Herrlichkeiten der Welt.
Gib mir den Glauben an Gott.
Gib mir die ewige Ruhe. Amen.
Das Werk von Hennings steht unter zwei Vorzeichen. Einerseits unter dem ihres ungemein (und ungerechtfertigterweise) berühmteren Ehemannes Hugo Ball und, andererseits unter den schwierigen, ja für das Schriftstellerinnentum fast unmöglichen Verhältnissen, in denen Hennings den Grossteil ihres Lebens verbringen musste. Und genau dieses Leben zeichnen Fernando González Viñas und José Lázaro in ihrer Comicbiografie Alles ist DADA nach. Es stellt dadurch einen sehr spannenden und bereichernden Kontrast zu den Gedichten dar, will doch die, auf den ersten Blick so erfasste, religiöse Lieblichkeit ihrer Lyrik so gar nicht zu diesem verruchten, schwierigen und drogengetriebenen Leben passen.
Natürlich ist es ein Fehler, die Lyrik Hennings so einordnen zu wollen, solch einfachen Zuteilungen entzieht sie sich einfach, in dem sie zu komplex, zu verworren und schlichtweg zu gut ist. Die Gedichte machen es einem aber einfach, zu solch vorschnellen Schlüssen zu kommen, sie sind motivisch zu grossen Teilen auf die Religion bezogen, in der Form meist einigermassen streng und mehr oder weniger durchwegs gereimt. Behrmann diskutiert im Nachwort ausführlich die zeitgenössische Rezeption der Gedichte von Emmy Hennings und deren (nicht immer, aber oftmals) Diminuierung durch männliche Zeitgenossen und auch, was aus der Motivik herausgelesen werden kann und was nicht. Oben zitiertes MORPHIUM stellt dabei eine der wenigen Ausnahmen dar, wo sehr direkt und unverblümt die eigene Opiumsucht zur Sprache kommt.
Die sowieso vorzügliche Studienausgabe zu Emmy Hennings wird mit der Gesamtausgabe ihrer Lyrik um einen weiteren wunderbaren Band ergänzt. Für Gesamtausgaben äusserst unüblich, darf jedes Gedicht auf einer eigenen Seite stehen, um seine Wirkung zu entfalten. Und damit gilt für diesen Band, was über alle Ausgaben der Studienausgabe gilt: Hier wurde ein spannendes, ausuferndes und äusserst entdeckenswertes Werk in herausragender Form zugänglich gemacht.
Kommen wir nun aber wieder zurück zum Kontrastprogramm, der Künstlerinnenbiografie in Comic-Form. González Viñas, der den Text verantwortet, hat einen sehr poetischen Zugang für den Text gewählt. Arbeitet mit vielen direkten Zitaten, geht schnell durch die Lebensstationen Hennings und konzentriert sich dabei stark auch auf die vielen bekannten Zeitgenoss*innen, mit denen Hennings bekannt war. Lázaros Zeichnungen haben einen klaren, breiten Strich und grossflächige, breite Schattierungen, die den Figuren viel emotionalen Ausdruck und räumliche Tiefe verleihen. Die Biografie bildet natürlich nicht nur ein Kontrastprogramm, sie hat auch meine Lektüre der Gedichte verändert und ergänzt. Die beiden spanischen Autoren zeigen mit Alles ist DADA wieder einmal eindrücklich, wie gut sich die Form des Comics dazu eignet, biografische Geschichten zu erzählen. Und vielleicht im Besonderen für literarische, weil sie beliebig mit Text erweitert werden können (was González Viñas gerne und ausführlich tut).
Ist also alles DADA? Nein, sicherlich nicht. Das Werk von Hennings darauf und damit auf einen zwar einschneidenden aber weiterhin nur einen, Teil ihrer Biografie reduzieren zu wollen wird ihrem Werk nicht gerecht. Davon zeugen sowohl ihre Lyrik als auch ihre Biografie. Lohnenswerte Zugänge zu Leben und Werk dieser Schriftstellerin finden sich in beiden Bänden.
Fernando González Viñas, José Lázaro: Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings.
Aus dem Spanischen von André Höchemer.
Texte von Fernando González Viñas, Zeichnungen von José Lázaro.
Originalveröffentlichung 2017.
232 Seiten.
Avant.
Webseite zum Buch Zum Buch:
Broschur · bedruckter Vorsatz (Illustration) · Klebebindung
Zum Verlag:
Comics und Graphic Novels finden im Berliner Avant Verlag seit 2001 eine Heimat. Das vielfältige Programm des Verlags zeigt, was Comics schon längst sind: «ein sich stetig entwickelndes Medium mit literarischer Qualität».
Emmy Hennings: Gedichte.
Herausgegeben von Nicola Behrmann und Simone Sumpf.
Mit einem Nachwort von Nicola Behrmann.
Reihe: Emmy Hennings. Werke und Briefe. Kommentierte Studenausgabe; Band 3.
698 Seiten.
Wallstein.
Website zum Buch Zum Buch:
bedruckter Schutzumschlag · geprägter Einband (Leinen) · farbiges Vorsatzpapier (grau) · fadengeheftet
Zum Verlag:
1986 haben zwei Brüder zusammen mit einem Freund einen Verlag gegründet. Den Wallstein Verlag. Nach sechs Jahren haben die Brüder den Verlag verlassen, der besagte Freund, Thedel von Wallmoden, ist bis heute dem Göttinger Verlag als Geschäftsführer treu geblieben. Thematisch werden vorwiegend Belletristik und geisteswissenschaftliche Texte verlegt. Dazu gehören auch Editionen von Klassikern und anspruchsvolle zeitgenössische Literatur. 2013 mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet.
We are a quiver of cobras.
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