Vom Rebellentum in Trippelschritten – Beirut für wilde Mädchen von Chaza Charafeddine
Übersetzt aus dem Arabischen von Günther Orth
Nick Lüthi
Eine Kindheit und Jugend im Libanon erzählt von einem «wildem Mädchen». In ihrer autobiografischen Erzählung blickt Chaza Charafeddine auf ein Leben zwischen Wahlheimaten und dem Ort ihrer Geburt und Kindheit zurück.
Es braucht wenig, damit ein Mädchen als rebellisch und wild gilt. Das Rebellentum erwächst nicht aus absonderlichen Taten, schon einfache Verstösse reichen dazu aus. Und am einfachsten wird das Rebellentum, wenn jeder Schritt, jeder Gedanke dazu führen kann. Chaza Charafeddine ist im Libanon aufgewachsen, einem Ort des Dazwischen. Zwischen den Religionen. Zwischen den Fronten. Zwischen unterschiedlichen Traditionen und Lebensvorstellungen. Rebellentum gehörte da, gerade als Frau, immer auch schon irgendwie dazu.
Charafeddine erzählt von diesem Leben und von diesem Dazwischen auf eine erstaunlich nonchalante Art, die aber genau ihrem damaligen, kindlichen Blick entspricht. Widersprüche tauchen in dieser Sicht auf die Welt noch nicht auf: Dass bestimmte Zimmer im Elternhaus nicht mehr bewohnt werden können, weil Bomben eingeschlagen sind oder bald einschlagen könnten, ist für die Erzählerin kein Grund zur Beunruhigung, sondern schlicht Tatsache in dieser erzählten Welt.
«Beirut für wilde Mädchen» besteht aus zwei Teilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind. Der erste Teil, der zuerst auf Arabisch erschien und von Günther Orth etwas trocken übersetzt wurde, ist komplett aus kindlicher Perspektive erzählt. Der zweite Teil hingegen, wurde von der Autorin extra für diesen Band auf Deutsch verfasst und erzählt mit einem sehr viel erwachseneren Blick über die innere Zerrissenheit von Charafeddine, die zwischenzeitlich zwar in der Schweiz oder in Deutschland lebt, aber von ihrer Heimat Libanon nicht richtig loskommt. Wollte man Tropen bedienen, es wären die berühmten zwei Herzen, die in einer Brust schlagen.
Der zweite Teil ist nicht nur sprachlich interessant, weil er das Deutsch der Autorin, mit dem übersetzten Deutsch von ihr kontrastiert, sondern weil er den Blick noch schärfer auf die im Titel angespielte Rolle der Frau in der libanesischen Gesellschaft richtet. Und mit der erwachsenen Sicht noch viel schärfer auf dieses Dazwischen und die kindliche Naivität zeigen kann. Chaza Charafeddines Buch jetzt aber als feministisches oder rebellisches Plädoyer zu lesen, tut dem Band unrecht, weil er dadurch unnötigerweise reduziert wird. Es ist vielmehr die gelungene Einvernahme der kindlichen Perspektive und der damit einhergehenden Verschiebung der Tatsachen und Ereignisse, im Kontrast zur späteren, reflektieren Sichtweise, die den Reiz des Bandes ausmachen.
Chaza Charafeddine: Beirut für wilde Mädchen.
Aus dem Arabischen von Günther Orth.
Mit einem Nachwort von Stefan Weidner.
Erster Teil Arabisch, zweiter Teil Deutsch.
Originalveröffentlichung erster Teil 2012.
158 Seiten.
Edition Converso.
Webseite zum BuchZum Buch: Klappenbroschur · bedrucktes Vorsatzpapier (Grafik) · Klebebindung
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Seit 2019 verlegt die von der Übersetzerin Monika Lustig gegründete Edition Converso Bücher aus dem Mittelmeerraum. Allesamt Übersetzungen, wie man sich schon denken konnte, allesamt gebunden und hochwertig produziert. Und allesamt unbekannte Stimmen, die da erstmals auf Deutsch erklingen können.
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