Tagebücher aus dem Regenwald von Bruno Manser
Nick Lüthi
Seit gut 20 Jahren ist Bruno Manser verschollen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen, hält die Faszination für seine Person weiter an. Gerade eben erscheint ein Kinofilm, der den Mythos Manser ziemlich sicher weiter beflügeln wird. Will man aber dem Menschen und nicht dem Mythos begegnen, so bleibt nur ein Blick in die herausragend edierten und reich bebilderten Tagebücher von Bruno Manser.
Die Faszination für einen Mythos wie denjenigen von Bruno Manser, scheint tief in den Wurzeln des schweizerischen Selbstverständnisses begraben zu sein. Manser war kein Held, er ist herausgezogen in die Welt, weil er von Abenteuerlust und innerer Unruhe dazu gedrängt wurde. Weder hatte er geplant, zum Umweltaktivisten zu werden, noch für die Interesse der Penan einzustehen, als er 1984 Basel verliess und in den Dschungel von Borneo gereist ist. Zum Umweltaktivisten und Verteidiger der indigenen Bevölkerung ist Manser geworden, weil er nicht anders konnte, als für die Kleinen einzustehen und für ihre Sache zu kämpfen. Und genau damit lässt sich zumindest die Faszination für Manser erklären, verkörpert er doch den Archetypus des helvetischen Helden als einer, der nur sein Leben leben wollte, durch äussere Umstände aber gezwungen wurde, sich zu wehren und dadurch zum Sprecher eines Volkes und im Falle von Manser zum Gralshüter einer archaischen Lebensform geworden ist.
Dieser Mythos um den Menschen Bruno Manser hat dazu beigetragen, dass auch nach seinem Verschollensein weiter für seine Sache gekämpft worden ist und wird. Gleichzeitig hat er aber auch den Menschen, der dahinter steckt verschleiert. Denn, was treibt jemanden an, die wohlbekannte Heimat zu verlassen, um über sechs Jahre lang unter einfachsten Bedingungen im Dschungel zu leben? Eskapismus? Abenteuerlust? Ein Neubeginn? Diese Fragen lassen sich sicherlich nicht abschliessend beantworten, die Tagebücher von Bruno Manser bieten aber die einzige Anlaufstelle, um dem Menschen näherzukommen.
In mittlerweile vierter überarbeiteter und erweiterter Auflage, sind die Tagebücher von Manser diese Tage im Basler Christoph Merian Verlag erschienen. Über 700 zweispaltige Seiten von der Grösse A4 sind nötig, um die 16 Tagebücher von Manser komplett abzubilden. Die Tagebücher bestehen nicht nur aus reinem Text, sie wurden von Manser auch reich bebildert und illustriert. Diesem Umstand wurde in der Ausgabe Rechnung getragen, in dem der Text integral wiedergegeben wird und die Illustrationen entweder als Faksimiles der gesamten Tagebuchseiten oder herausgelöst im edierten Text präsentiert werden. Wer sich einen genaueren Überblick verschaffen möchte, wie das im Endeffekt ausschaut, findet in der ausführlichen Leseprobe einen guten ersten Einblick in den weiteren Aufbau der Ausgabe.
Die editorische Sorgfalt die in dieser Ausgabe steckt ist so gewissenhaft und genau, wie sie den wenigsten arrivierten Autor*innen überhaupt je zuteil wird. Dadurch bedient diese Ausgabe auch die Ansprüche unterschiedlicher Gruppen. Einerseits werden wissenschaftliche Editionsansprüche erfüllt, was sowohl der sorgfältigen Editionsarbeit wie auch den Seitenangaben neben dem Text geschuldet ist. Andererseits sind diese Elemente so unauffällig in das Werk integriert, dass sie auch allen Leser*innen die nicht mit diesen Ansprüchen an das Werk herantreten, nicht störend ins Auge fallen. Das reich bebilderte Werk ist eine wahre Augenweide, Mansers Illustrationen sind herausragend und sehr detailliert. Die von Thomas Dillier verantwortete Buchgestaltung und der Satz sind makellos. Bereits als reiner Schmöker auf dem Kaffeetisch machen die Tagebücher eine gute Figur. Ihre wahre Macht entfalten sie aber natürlich erst, wenn man sich ausgiebig mit den Texten darin beschäftigt.
Mit der Genauigkeit eines Anthropologen, der sich vollkommen in seinem Studiensubjekt verloren hat – also ein vollständiges “going native” – berichtet Manser über die Menschen, Bräuche und Sagen, die er gesehen und erlebt hat. So stehen ausführliche Beschreibungen über die lokalen Fischarten neben den Zeichnungen dieser, gefolgt von einer textlichen Skizzierung der bevorzugten Fangart für jeden einzelnen Fisch. Durchmischt sind diese Aufzeichnungen von persönlichen Erlebnissen, wie nächtlichen Angriffen von Ameisen beim Schlaf am Strand und Vergiftungen durch in Unwissenheit konsumierte Pflanzen.
Die Charakterzüge des Urhebers dieser Einträge lassen sich aber nur erahnen. Vollständig auf die Schliche kommt man ihm nicht. Manser muss ein unglaublich neugieriger Mensch gewesen sein, war aber gerade in den Anfangsmonaten auch von einer verblüffenden Naivität getrieben. Warum er aber immer weiter in den Urwald wandert, dort die Penan aufsucht (schon dazumal eines der letzten nomadischen Völker) und bei ihnen bleibt, bleibt der Fantasie der Leser*innen überlassen. Sind die Einträge in der ersten Hälfte noch vorwiegend Tieren und Naturbeschreibungen gewidmet, ändert sich spätestens dann der Ton, als den Penan erste Berichte von Holzfällern in ihrem Gebiet zu Ohren kommen. Das Tagesgeschehen und der Kampf gegen die Holzfäller kulminiert sich im 15. Tagebuch, welches ausschliesslich aus Reden, Vorträgen und Schilderungen der lokalen Abholzung des Urwalds und der damit verbundenen Einschränkung und Wegweisung der Penan aus ihrem Lebensraum besteht.
Ehrlicherweise bleibt mir der Mensch Bruno Manser auch nach dem Lesen der Tagebücher ein Rätsel. Das mag damit zusammenhängen, dass Manser die Tagebücher mit einem bewussten Dokumentationsinteresse geschrieben hat, im Endeffekt ist es aber vermutlich gar nicht so wichtig, woran es liegt. Denn Manser ist nicht geblieben und hat gekämpft, weil er dazu bestimmte Gründe gebraucht hat, er ist geblieben, weil es nicht anders ging. Und so löst sich auch in den Tagebüchern der Mensch in seinem eigenen Mythos auf. So nah wie da, wird man ihm aber sonst nirgends kommen, liegt doch hier die Essenz dessen begraben, was ihn angetrieben haben muss. Pflichtgefühl, Liebe und ein grosser Schwall Empathie und Sinn nach Gerechtigkeit. Und damit bleibt er dem Archetypus des urschweizerischen Helden verbunden, als einer, der keiner sein wollte, sich nun aber auch nicht mehr vollständig von seinem eigenen Mythos loslösen lässt.
Bruno Manser: Tagebücher aus dem Regenwald. 1984-1990
4. überarbeitete Neuauflage 2019.
712 Seiten.
Christoph Merian Verlag.
Webseite zum BuchZum Buch: 4 Bände im Schuber · Broschur · Klebebindung · A4-Format · über 600 farbige Abbildungen · mit eingelegter Landkarte
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Der Christoph Merian Verlag ist nach dem Basler Patrizier benannt, aus dessen Stiftung der Verlag entstanden ist. Seit 1976 werden im eigenständigen Verlag Bücher in den Bereichen Kunst, Architektur und Kultur wie auch Sachbücher mit Bezug zu Basel gedruckt. Ein hoher gestalterischer Anspruch und die Zusammenarbeit mit renommierten Institutionen zeichnen den Verlag aus.
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