Den Kern schluckt man nicht von Hakan Tezkan
Nick Lüthi
Auf dem Cover von Den Kern schluckt man nicht steht, dass man es hier mit einem Roman zu tun habe. Erster Eindruck und schon wird man angelogen. Das vorliegende Werk ist vieles, aber sicherlich kein Roman in der klassischen Auffassung des Begriffes. Eine Geschichte mit Anfang und Schluss und Spannungsbogen findet man nämlich nicht vor. Gut ist das trotzdem. Oder vielleicht gerade deswegen.
Geschildert werden hier verschiedenste Episoden eines Familienlebens. Oder wohl besser: eines Familiengefüges. Als Leser beobachten wir die Welt aus den Augen eines namen- und alterslosen Jungen, (stimmt nicht ganz: im Roman wird der Junge schlicht M genannt.) der mit Mutter und Vater zusammenlebt. Und viel mehr kann ich über die Geschichte eigentlich nicht erzählen, denn viel mehr gibt es, rein plottechnisch, nicht zu erzählen. Die Familie isst gemeinsam zu Mittag, der Onkel kommt zu Besuch, die Familie macht einen Ausflug, der Junge beobachtet etwas. Die Geschichte ist also sicherlich nicht der Grund, weshalb man sich diesem Roman zuwenden sollte.
Den Kern schluckt man nicht ist einer dieser Texte, die nicht gut sind, weil sie etwas erzählen, sondern einer derer die gut sind, weil sie vieles gerade eben nicht erzählen. In diesem Familiengefüge hängt irgendetwas schief und unter der Oberfläche brodelts gewaltig. Gerade von der Figur des Vaters scheint eine konstante Bedrohung auszugehen. Oftmals ist es kaum zu übersehen, dass hier nächstens eine Bombe einschlagen wird. Man weiss aber nie genau wann und von wem. Genau von dieser Spannung lebt und genau mit dieser Spannung funktioniert der Text.
Das fängt schon mit dem zitierten ersten Satz an. Vom ersten Satz an hängt da diese Spannung zwischen M und seinem Vater. Erlebnis reiht sich an Erlebnis und als Leser sitzt man ständig am Rande des Stuhls. Die einzelnen Episoden oder Kapitel sind in drei Teile gegliedert und erinnern mehr an Lyrik in Prosaform als an einen Roman. Tezkan arbeitet andeutungs- und allegorienreich. Der Erzähler verfällt immer wieder in Allegorien und deutet so den Erlebenszustand des Sohnes.
Das Einzige woran der Roman ein bisschen krankt, ist die Erzählkurve. Ein bisschen mehr Geschichte hätte sicherlich auch bei dieser Form des Erzählens Platz finden können.
Den Kern schluckt man nicht ist ein merkwürdiger Roman. Er will einem nicht so recht in ein gängiges Muster oder Schema passen. Schon alleine deshalb lohnt sich der Blick zu diesem Werk. Nebst dessen hat mir der Text gefallen, weil er eine Wucht ausstrahlt. Spannung in so konzentrierter Form zu erzeugen ohne je konkret zu werden, ist eine beachtliche Errungenschaft. Wem bildhaftes, angedeutetes und spannungsgeladenes Erzählen gefällt, dem wird auch Den Kern schluckt man nicht von Hakan Tezkan zusagen.
Zum Buch: Klappbroschur · Klebebindung
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