Der Berg der nackten Wahrheiten von Jan Bachmann
Nick Lüthi
Die Aussteiger versammeln sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Scharen am Monte Verità und etablieren dort Wohn- und Lebensgemeinschaften, die ihren Lebensentwürfen gerecht werden sollen. Die anfängliche Euphorie verschlägt sich dabei aber schnell in ernüchternde Realität. Mit gewitztem Blick, aber etwas ziellos, erzählt Jan Bachmann in seiner Graphic Novel von einem dieser Aussteiger und von einer Ziege, die ihn dabei begleitet.
Gusto Gräser ist Teil einer Gemeinschaft von Aussteiger*innen, die sich dem Vegetabitilismus verschrieben haben. So recht integrieren in dieses Gemeinschaftsleben, mag er sich aber nicht. Lieber stakst er nackt und tanzend durchs hohe Gras des Berges (daher die nackte Wahrheit) und hängt seinen Gedanken nach. Auf einem dieser Tanzzüge trifft er eine Ziege, die er kurz entschlossen adoptiert und die ihn von da an zu seinem ständigen Begleiter wird.
Gepaart mit historischen Einsprengseln und vielen Nebenschauplätzen, wird im restlichen Band die Geschichte von Gusto und seiner Ziege erzählt. Oft ist die Erzählung dabei sehr sprunghaft und scheint sich nirgends so recht einpendeln zu wollen. Und so fehlt oftmals der rote Faden, der durch diese vielen historischen Anknüpfungspunkte führt. Man merkt dem Werk an, dass es äusserst gründlich recherchiert wurde. Die Zitate und Verweise sind akkurat und überzeugend.
Trotzdem plätschert der ganze Band etwas vor sich hin, ein klares erzählerisches Ziel ist nicht immer erkennbar und so verlieren sich auch die durchaus witzigen Passagen und Ideen in der grundlegenden Versatzstückelung. Der Sprung zwischen verschiedenen Gruppierungen auf dem Berg ist wild und durch den wenigen Text ist dann auch nicht immer sofort klar, wo man nun genau gelandet ist. Das Phänomen und die Faszination des Monte Verità, die ja dieser Band zu ergründen sucht, kommt dabei leider zu selten durch. Es bleibt bei einem Best-of, welches zwar alle Hits versammelt, aber die Magie des Ursprungsmaterials vermissen lässt.
Die erzählerische Unruhe wird unterstrichen vom Zeichenstil, der in krakeligen Strichen die Schemen der Figuren und Landschaften umreisst. Kontrastiert wird die krakelige Unruhe der Zeichnungen durch eine überzeugende Farbgestaltung. Die Farben sind flächig, oftmals komplementär zueinander und stechen sofort ins Auge. In typischer Manier für die Edition Moderne wurde Der Berg der nackten Wahrheiten als Gesamtkunstwerk gestaltet. Das Buch hat ein sehr grosses Format (22 x 30cm, also nahezu A4) und ist hochwertig produziert, was sich am schweren, gut in der Hand liegenden Papier und den grandiosen Farben zeigt.
Insgesamt bleibt dieser Band ein Gemischtwarenladen. Gründlich recherchiert, toll aufgemacht und ausgestattet aber mit einigen erzählerischen Mankos, die die Freude an der eigentlich witzigen und freudvollen Erzählweise schmälern.
Zum Buch: Klappbroschur · Klebebindung
Mehr über die Bücher der Edition Moderne:
Die 1981 entstandene Edition Moderne ist der einzige Comicverlag der Deutschschweiz. In Zürich werden jährlich etwa 12 Bücher produziert, viele davon sind Erstveröffentlichungen von jungen deutschsprachigen Zeichner*innen.
Das Verlegerinnenteam um Claudio Barandun und Julia Marti war zu Gast im BookGazette Podcast. Nachzuhören hier:
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