Skelettische Erzählformen – Der Heilige mit der roten Schnur von Flavius Ardelean
Übersetzt aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme
Nick Lüthi
Man nehme eine Welt. Dazu geselle sich eine Un'Welt. Darin setze man einen Heiligen, der gegen das Böse aus der Un'Welt kämpft. Als Erzählinstanz nehme man ein sprechendes Skelett auf einer Kutsche. Einmal rühren und man landet mitten im Erzählkosmos von Flavius Ardelean.
Bartholomäus Knochenfaust, so der Name der skelettischen Erzählinstanz, fährt auf einem Wagen über die Ebene nach Alrauna. Unterwegs trifft er einen Reisenden, den er mitnimmt und dem er über die nächsten Tage die Geschichte von Taush aus Gaisterștat erzählen wird. Er wird so fesselnd erzählen, dass der Reisende mit Haut und Haar von der Geschichte eingenommen werden wird. Besagter Taush war schon als Junge seltsam, lebte in einer eigenen Welt und schnell stellten sich seine speziellen Fähigkeiten heraus. Er konnte mit den Tieren sprechen und er verschwand mehrmals für mehrere Tage und kam danach als anderer zurück. Nachdem Taush von einem dieser Ausflüge zurückkehrt, wächst aus seinem Bauchnabel eine rote Schnur. Diese bietet er Sterbenden als Geleit für den Übertritt ins Jenseits ums Handgelenk und von daher rührt auch sein Name als «Heiliger mit der roten Schnur». Nach unbeschwerten Kinderjahren wird er als zehnjähriger Geselle beim Alten Tace (seine Mutter tauscht ihn gegen ein Ei ein!), wo er mehrere Jahre bleiben und lernen wird, wie er die Welt vor der Un’Welt beschützen kann.
So absurd wie das Setting, so absurd und berauschend wird die Geschichte um Taush weitergehen. Zusammen mit zwei weiteren Gesellen des alten Tace wird er sich auf den Weg machen, um die Rattenmenschen aus der Un’Welt zu besiegen. Die Mittel dazu sind einfach: Die Risse der Welt in die Un’Welt müssen durch Erzählungen wieder beglichen werden. Und so wird erzählend gegen das Böse auf der Welt gekämpft. Innerhalb dieser Welt scheint es nur konsequent, dass die skelettische Erzählinstanz nicht zuverlässig ist. Bartholomäus Knochenfaust ist nicht nur stiller Beobachter und Erzähler, sondern selbst Teil der Geschichte und so bleibt es nur zu vermuten, dass er der Geschichte einen ganz eigenen Dreh verpasst. Gerade, wenn man bedenkt, was die Erzählung den Reisenden kosten wird.
Ardeleans Märchen ist auf mehreren Ebenen aussergewöhnlich, wobei alles mit Knochenfaust beginnt, der fabulierfreudig und in einer geschickt eingebetteten Rahmenhandlung die Geschichte vorantreibt. Diese Fabulierfreude spiegelt sich auch in der Sprache wider, die für einen Fantasyroman ausgesprochen hochtrabend ist. Die Übersetzung aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme ist herausragend, sehr gekonnt spielt sie beispielsweise zwischen den rumänisch angehauchten Eigennamen und den eingedeutschten Begriffen oder Namen (wie etwa Un’Welt oder Bartholomäus Knochenfaust, die der sprechenden Bedeutung wegen eingedeutscht wurden). Die Sätze sind verschachtelt und spielerisch, wirken im Deutschen sehr leichtfüssig und zugänglich, ohne aber die eigene Komplexität zu untergraben. Das zeigt sich etwa durch die vielen Metaspielereien, die Ardelean in den Text gewebt hat, und die auch im deutschen Text immer wieder hervorfunkeln und die Doppelbödigkeiten und weiteren Elemente der Geschichte bereits andeuten.
Ich habe langsam die Befürchtung mich zu wiederholen, aber die Bücher des Homunculus Verlags sind immer auch als physische Güter sehr durchdacht. Das Lesebändchen ist rot (logisch) und sogar der Faden der Fadenheftung erleuchtet im gleichen Rot. Dazu gesellen sich die feingliedrigen Illustrationen von Ecaterina Gabriela, die sich durch den Band ziehen, schweres, schönes, schweres Papier und schöne, zweckdienliche Gestaltung. Das Buch überzeugt auch auf dieser Ebene.
Der Heilige mit der roten Schnur ist der Auftakt einer Trilogie von Ardelean, das merkt man dem Band an, auch wenn er gut einzeln lesbar bleibt, die Geschichte ist noch nicht fertig erzählt und viele angerissene Erzählstränge und Mysterien bleiben noch offen. Bereits diesen Herbst wird der nächste Band auf Deutsch erscheinen und es steht zu vermuten, dass Band 3 auch bald folgen wird. Literarisch anspruchsvolle Phantastik ist nicht einfach zu bekommen (zumindest im Deutschen), von daher macht das Lesen dieses komplexen, sprachlich anspruchsvollen Märchens umso mehr Freude.
Flavius Ardelean: Der Heilige mit der roten Schnur.
Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme.
Mit Illustrationen von Ecaterina Gabriela.
Originalveröffentlichung 2015.
216 Seiten.
Homunculus.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · bedrucktes Vorsatzpapier (Graphik) · Lesebändchen (rot) · fadengeheftet (roter Faden)
Mehr über die Bücher des Homunculus Verlags:
Der 2015 enstandene Homunculus Verlag spielt bereits im Namen mit dem Lebendimachen des Anorganischen. Es finden sich dementsprechend viele Vergessene im Erlanger Verlag wieder. Aber auch aktuelle Veröffentlichungen und Spiele gehören zum spannenden Programm, das immer eine hochwertige Aussatttung erfährt.
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