26 Seiten – Der Wald der verlorenen Schatten von Danbi Eo
Übersetzt aus dem Koreanischen von Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer
Nick Lüthi
Ich habe von diesem Band 26 Seiten gelesen und urteile nun bereits darüber. Eigentlich ein Unding für eine seriöse Romanbesprechung. Dementsprechend: Eine Problematisierung dieses Romans anstelle einer Besprechung.
Normalerweise würde ich bei einem Roman nun über den Inhalt sprechen, über die Figuren, über die Bezüge zueinander, über die Sprache und über das Narrativ, das von der Autorin entwickelt wird. Wenn ich ambitiös an die Sache herangehen würde, würde darauf auch noch eine Kontextualisierung folgen und vielleicht, wer weiss das schon, ein Urteil. Heute kann (und will!) ich aber all dies nicht leisten, ich habe das Buch ja nicht gelesen, respektive nicht weit genug, um diese Dinge beurteilen zu können. Gelesen habe ich das erste Kapitel, welches genau 26 Seiten umfasst. Danach habe ich abgebrochen, weil diesem Roman, um ehrlich zu sein, die Sorgfalt fehlt, damit man sich noch weiter damit beschäftigen müsste oder möchte.
Es sind drei grundsätzliche Bereiche, die sich schon auf diesen paar Seiten als problematisch herausgestellt haben: Das ursprüngliche (koreanische) Lektorat ist durchzogen von Fehlern und Unsauberkeiten, die Übersetzung lässt zu wünschen übrig und im Buch finden sich schlichtweg zu viele Fehler. Viele Unsauberkeiten hätten bereits in der ursprünglichen Version entdeckt werden müssen, oder dann spätestens beim Übersetzen. Der Roman klingt zudem wie eine Interlinearübersetzung, also eine mehr oder weniger Wort für Wort verbürgte Übersetzung, und daraus resultieren Sätze, die mehr an die deutsche Sprache erinnern, als selbst dann tatsächlich Deutsch zu sein. Auch die Fehler sind zahlreich, bereits beim ganz normalen Lesen, ohne jetzt also vertieft nach Fehlern zu suchen oder gar Kommas zu überprüfen, sind mir auf den ersten zehn Seiten 3–4 grobe Schnitzer aufgefallen. Vorläufiges Fazit: diesem Band mangelt es an Sorgfalt.
Die ursprünglichen Lektoratsfehler sind klein und gross, lassen sich aber massenweise finden. Der Protagonistin fällt etwa der bis zum Platzen gefüllte Briefkasten auf und es scheint ihr, dass es seit dem Morgen mehr geworden sei. Im nächsten Satz nimmt sie die Postsendungen heraus, «die kurz davor waren, aus dem Schlitz zu quellen.» Ein beinahe platzender Briefkasten ist aber nur wahrnehmbar, wenn Sendungen bereits hinausquellen, nicht wenn sie kurz davor stehen. Hier wurde unsauber gearbeitet: Die Protagonistin weiss bereits, dass der Briefkasten übervoll ist, weil sie ihn seit Tagen nicht geleert hat, das kann ihr aber nicht «ins Auge stechen», das kann sie nur wissen. Dann gibt es logische Fehler im Ablauf: Ein Abschnitt beginnt mit «Mein Herz hämmerte», fünf Zeilen weiter unten spürt die Protagonistin und Ich-Erzählerin, wie ihr Herz zu hämmern beginnt. Da scheint die Descartsche Trennung von Seele und Geist eine ganz neue Form angenommen zu haben. Oder Gerüche werden im Gaumen wahrgenommen (schon klar, dass Gerüche auch über den Rachenraum transportiert werden können, sie werden aber nicht dort wahrgenommen). Oder fast mein liebster Schnitzer: die 29-jährige Protagonistin lebt seit 22 Jahren allein! Ganz schön fortgeschritten für eine Siebenjährige.
Fairerweise muss man aber sagen, dass ich beim letzten Beispiel keinen ursprünglichen Lektoratsfehler vermute, sondern einen Übersetzungsfehler. Gemeint ist nämlich, dass die Protagonistin seit 22 Jahren ohne Eltern lebt und in Waisenhäusern aufgewachsen ist. Das wird im nächsten Satz dann auch klar, zeigt aber das Grundproblem der Übersetzung auf: Es wurde viel zu genau übersetzt. Hier hätten die – wie ich vermute – 2 ursprünglichen Sätze im koreanischen Original in einen Satz umgewandelt werden müssen, damit dann nicht Quatsch herauskommt. Die Konsequenz ist ein knapp noch auf Deutsch lesbarer Roman. Beispiel gefällig? Hier:
Was bitte ist denn das für ein Satz? Gut möglich, dass im Original das Verb geben benutzt wurde und man dies im Koreanischen auch üblicherweise so sagt, auf Deutsch, wenn man nett sein will, ist das mindestens holprig. Nicht nur ist das gewählte Verb mindestens komisch, sondern wird durch die zu-Konstruktion weiter verkompliziert. Der Satz klingt nun so, als ob das Essen noch als Zusatz für die Mahlzeiten benutzt wird. Dabei wäre die Lösung ja einfach, «gab es zu meinen Mahlzeiten das Essen» wird zu «bestanden meine Mahlzeiten aus dem Essen» und der Satz ist zwar noch nicht wirklich gut, aber zumindest schon verständlich. Diese Fixierung auf den Ursprungstext findet sich im ganzen ersten Kapitel (und vermutlich auch im Rest des Bandes). So wird auch wiederholt ein «dachte ich» eingeschoben. Die Protagonistin ist aber Ich-Erzählerin, ist ja völlig klar, dass wir ihre Sichtweise erzählt bekommen. Gerechterweise muss hier aber gesagt werden, dass man hier ohne Kenntnis des Originals nicht beurteilen kann, ob diese bereits im Ursprungstext problematisch war oder an der Übersetzung liegt.
Ähnliche Probleme zeigen sich beim Gebrauch der direkten Rede. Regelmässig wird etwas in der direkten Rede gesagt, nur um es dann von der Protagonistin indirekt im nächsten oder übernächsten Satz wiederholen zu lassen. Auch hier vermute ich nicht nur ein Problem in der Ursprungsfassung, sondern auch in der Übersetzung, weil es direkt übersetzt wurde und eventuelle Reflexionsmomente dadurch übergangen wurden. Dazu gesellen sich dann in der deutschen Ausgabe auch noch viele offensichtliche Fehler: «her aus (gemeint: heraus)», «mein so Herz heftig (gemeint: mein Herz so heftig)» oder «wie ich es mir vorgestellte hatte (gemeint: wie ich es mir vorgestellt hatte)». Und die Probleme hören da nicht auf, auch der zeitliche Ablauf ist oftmals komisch, es passieren Dinge, die erst später nacherzählt werden etc, aber langsam vergeht mir die Lust, mich weiter damit auseinanderzusetzen.
Der Wald der verlorenen Schatten könnte eine packende Geschichte erzählen. Der Band könnte eine unglaubliche Figurenzeichnung haben und sehr packende Fantasy sein. Ich weiss es schlichtweg nicht. Es ist irgendwie frustrierend, das Buch ist eigentlich schön gestaltet mit seinem bedruckten Vorsatz und in seiner kompakten Form. Auch die Idee Science Fiction und Fantasy aus Korea zu übersetzen finde ich sehr unterstützenswert, aber alleine damit ist es nun mal nicht gemacht. Diesem Buch, respektive dem deutschen Text, fehlt schlichtweg die Sorgfalt, dass ich als Leser nach 26 Seiten auch nur die geringste Lust verspürt hätte, hier noch weiterzulesen, ganz egal wie die Geschichte weitergegangen wäre, so macht es keinen Spass.
Danbi Eo: Der Wald der verlorenen Schatten.
Aus dem Koreanischen von Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer.
Originalveröffentlichung 2018.
248 Seiten.
Golkonda.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · bedrucktes Vorsatzpapier (Grafik) · Klebebindung
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Ganz der Phantastik verschrieben hat sich der Berliner Golkonda Verlag, wobei schwerpunktmässig die Ausprägung Science Fiction klar überwiegt. Lange als eigenständige GmbH geführt, ist der Verlag seit 2020 eine Marke innerhalb der Europa Verlage GmbH.
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