Dich gibt's nur dreimal für mich von René Kemp
Nick Lüthi
Seit 2014 betreibt der Bildende Künstler Réne Kemp auf Tumblr eine Art Online Journal, wo er, mehr oder weniger regelmässig, in kurzen Texten seine Tage und die Gedanken dieser Tage erfasst. Diese Texte erscheinen nun gesammelt in einer dreibändigen Ausgabe. Im Mai ist der erste Band erschienen, welcher die ersten drei Jahre des Journals zusammenträgt, Mitte 2014—Ende 2016.
Dem Format geschuldet, haben solche öffentlichen Tagebücher eine grosse Ich-Komponente. Die grösste Falle die sich dabei immer wieder auftut ist, dass sich der/die Autor*in zu Narzissmus oder Weltschmerzprosa verleiten lässt und dann einen ewigen Abgesang auf das eigene Ich abhält oder mit melancholisch-traurigem Blick durch die Welt wandert und dabei banales Geplapper in die Welt entlässt. Bei René Kemps Journaleinträgen werden diese Fallen geschickt umschifft. Kemp beobachtet sich und seine Umwelt genau und überrascht immer wieder mit geschickt zerlegten Einsichten des gerade Erlebten. Besonders ist auch, dass die Einträge selbst keine Aufhübschung und nachträgliche Geradebiegung vornehmen. Der Blickwinkel ist meist sehr direkt, wird aber in sprachlich sehr geschliffener Form vorgetragen.
Zur Freude des Lesers rutscht Kemp ab und an auch ein Gedanke durch und etwas Rohes, Wildes verfängt sich in diesem Gedanken. Diese Brüche braucht es, sie brechen die verklausulierte, intellektualisierte Sprache auf und verlassen sich ganz auf die Anschauung des Moments, nicht auf seine sprachliche Überhöhung. Da taucht dann manchmal der Mensch hinter den Einträgen auf.
Kemps Sprache hat stellenweise etwas Gestelztes. Zuweilen ist die Sprache auch von englischen Einschüben durchsetzt und nimmt da die Form von hippem Grossstadtjargon an. Durch die gemachten Beobachtungen und Einsichten, wirkt die Sprache aber äusserst passend für die jeweiligen Sachverhalte. Kemp arbeitet sprachlich genau und versteht es, Gedanken pointiert und in den richtigen Worten auszudrücken.
Kemps Beiträge sind gut ausformuliert, regen zum Denken an, leider will der Funke in Buchform aber nicht wirklich überspringen. Dies liegt weniger an den Beiträgen und Kemps Fähigkeiten, als an der ursprünglichen Form der Texte verglichen mit der jetzigen. Es fehlt ein überliegendes Narrativ, es fehlt eine klare Richtung, ein Fixpunkt, auf den die Texte hinzielen. Dies ist nicht den Texten an sich, sondern der ursprünglichen Form als Blogbeiträge geschuldet. Sven Regener ist vor einigen Jahren mit Meine Jahre mit Hamburg-Heiner genau das gleiche passiert. Texte, die als Blog toll funktioniert haben, wirken, konzentriert als Buch, deplatziert. Wenn man nun zum Lesen ein Buch vor sich hat, so erwartet man ein Narrativ, eine Richtung für die Texte. Reiner Kollektionismus greift dabei nicht.
Das mag eine unfaire Erwartungshaltung an das Buch meinerseits sein. Und es mindert auch nicht wirklich den Leseeindruck. Es ist einfach schade, plätschert das Buch am Ende aus, ohne gezielt in dieses Plätschern gesteuert worden zu sein. Da wurde Potenzial verschenkt. Der, sonst für seine gelben Hefte bekannte, Sukultur Verlag hat für René Kemps «Autofiktionen» neue Wege eingeschlagen. Das Buch erscheint im kartonierten Einband und macht sich wunderbar neben den bereits bekannten gelben Heften.
René Kemp: Dich gibt's nur dreimal für mich.
Reihe: Sonnenbrand - Reihe für Autofiktionen: Band 01.
Herausgegeben von Marc Degens.
112 Seiten.
Sukultur.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · fadengeheftet
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Sukultur ist ein 1995 gegründeter Berliner Verlag. Die Schwerpunkte des Programms sind die Leseheftreihen 'Schöner Lesen' und 'Aufklärung und Kritik' in denen auf wenigen Seiten (16-24) Geschichten, Gedichte und Aufsätze verpackt werden.
Verleger und Begründer Marc Degens war zu Gast im BookGazette Podcast. Nachzuhören hier:
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