Die dunklen Jahre von Friederike Manner
Nick Lüthi
Die Ehe von Klara und Ernst ist an ihrem Tiefpunkt angelangt, die beiden so gut wie getrennt. Als aber 1938 Österreich vom Deutschen Reich einvernahmt wird, ändert sich alles. Ernst als Jude ist in grosser Gefahr und auch die Kinder der beiden sind als “Mischlinge” nicht sicher. Klara bleibt also, hauptsächlich der Kinder willen, aber auch aus Pflichtbewusstsein Ernst gegenüber. Als ersten Schritt verstauen die beiden ihre Kinder in der Schweiz und verbleiben vorerst noch in Österreich. Da wird aber die Lage auch für einen geschätzten jüdischen Arzt wie Ernst zu brenzlig und er muss fliehen. Die Stationen der Flucht sind vielerlei, von der Schweiz, über Österreich, hinunter in den Balkan. Mal alle zusammen, mal nur Mutter und Kinder. Vorläufige Endstation der Flucht wird Belgrad sein, wo Mutter und Kinder unterkommen werden. Zwischen den Jahren 1934 und 1945 erzählt Friederike Manner in ihrem Roman die Geschichte einer Familie, die in dieser Zeit öfters heimatlos ist, als dass sie ein Heim hat.
Klara ist mit Weitsicht gesegnet. So erzählt sie ihre Geschichte zwar in Retrospektive, weiss also schon von vornherein um die Wendungen der Geschichte, beweist aber auch im Tagesgeschehen einen klaren Blick für die Monster und Ungeheuer, die aus den Tiefen menschlichen Bewusstseins erwachsen werden. Immer wieder werden ihre eigenen Beobachtungen ironisch gebrochen. Das geschieht einerseits durch Galgenhumor, oft aber auch durch Bemerkungen in Klammern, die Vorgriffe machen und dadurch gegenwärtiges mit zukünftigem in Verbindung bringen. Überhaupt ist Klara als Hauptfigur Dreh- und Angelpunkt dieses Romanes. Die Ich-Erzählerin ist eine der komplexesten Figuren, die mir je in einem Roman untergekommen ist. Im einleitenden ersten Teil ist sie mit kontrollierter Wut unterwegs, juxtaposiert die Wut immer wieder mit Ironie und sehr bösem Galgenhumor (“Später kam er dann ins KZ., der arme Optimist, und hat sicherlich ein wenig Pessimismus dazugelernt.”). Beginnt aber bereits im zweiten Teil, die NS-Zeit mythologisch zu überhöhen und deuten (Fenriswolf). Gleichzeitig ist Klara aber liebende Mutter, die ihre Kinder aufs Äusserste verteidigt, nur um selbstreflexiv zu behaupten, eigentlich gar nicht mehr lieben zu können. Die streunende Katze nimmt die Familie dann trotzdem auf und beschenkt diese mit Milch, die sie sich selbst ja kaum gönnen. Ihren Mann Ernst liebt sie auch nicht mehr trotzdem bleibt sie und fühlt tief und innig für Ernst, beginnt aber auch ein Verhältnis mit einem anderen Mann. Kurzum, Friederike Manner zeichnet hier eine sehr komplexe Frauenfigur und zu keinem Zeitpunkt bezweifelt man deren Komplexität. Klara springt förmlich aus diesem Roman ins Leben.
Diese Ich-Erzählerin beschreibt die Wirrungen, die vielen Gedanken, die unfassbaren Ungerechtigkeiten, die einem in Kriegszeiten widerfahren können und ihr widerfahren sind. Durchstossen werden diese Beschreibungen auch zu Beginn schon durch die Perspektive der Überlebenden, die auf die eigene Vergangenheit zurückblickt. Denn bedrückender als die Flucht selbst ist schlussendlich das Nachher. Der Krieg ist zwar vorbei und überlebt, zurückgelassen wurden hier aber ganz andere Menschen mit schwerem Gepäck. Und gerade Klara hadert mit dem Gestus und der Verschwiegenheit der Nachkriegszeit. Dieser einzige Roman Manners ist stark autobiografisch begleitet, wie Polt-Heinzel im Nachwort aufzeigt. Die Stationen der Flucht und des Exils der Hauptfigur Klara, decken sich mit denen von Friederike Manner. Ein Roman der dermassen unter die Haut geht wie dieser, er wäre wohl in seiner Komplexität und inneren Wahrheit nicht möglich gewesen, hätte die Autorin nicht die gleichen Stationen erleben müssen.
Der Roman überzeugt zudem auch durch seine Sprache. Am Laufmeter stehen hier Sätze, die sind entweder so schön, oder so grässlich, dass es fast schon weh tut. Manchmal sind sie auch beides zusammen. Immer ist die Sprache eine der genauen Beobachtung und der vielen Handlungsmuster und -motive der Menschen. Und auch die Selbst-Reflexion ist zentrales Element. An den eindrücklichsten Stellen vermengen sich diese Facetten der Sprache und es entstehen Sätze die sind schön, zugleich grässlich, genau beobachtet und auch noch mit Selbst-Reflexion vermengt:
Friederike Manners Roman ist in der Edition Atelier zum ersten Mal seit der Originalausgabe 1948 wieder erhältlich. Es ist eine Schande, war dieser Roman so lange nicht mehr erhältlich. Evelyn Poltz-Heinzl anerkennt die Leistung der Wiederentdeckung als wichtig, sei doch der Roman, wie sie nüchtern feststellt, einer der drei grossen österreichischen Exilromane. Damit hat sie natürlich recht, dieser Roman respektive dessen Wiederentdeckung, ist aber viel mehr. Das ist schlichtweg ein fantastisches Buch. Wie ein so wichtiger, relevanter, beklemmender und einfach auch sauguter Roman vergessen werden konnte, es übersteigt meinen Horizont tausendfach. “Die dunklen Jahre” ist eine Sensation! Mit einer irrsinnig komplexen, vielschichtigen, widersprüchlichen Hauptfigur, die vom tiefen Mitfühlen über Galgenhumor in unbändige Wut wechselt, schildert der Roman die Irrungen und Wirrungen eines Krieges. Vorgetragen ist das Ganze in einer äusserst beeindruckenden und vielfältigen Sprache. Ein Meisterstück eines Romans! Lesen, und zwar sofort!
Friederike Manner: Die dunklen Jahre.
Mit einem Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl.
Originalveröffentlichung 1948.
424 Seiten.
Edition Atelier.
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