Die untalentierte Lügnerin von Eva Schmidt
Nick Lüthi
Maren wollte Schauspielerin werden. Als das nicht geklappt hat, kehrt sie zurück zu ihren Eltern. Der Mutter Vera und dem Stiefvater Robert. Maren muss sich bei ihren Eltern neu sammeln und ihr Leben in geordnetere Bahnen lenken. Die Schauspielausbildung hat sie abgebrochen, die halbjährige Therapie aufgrund ihrer Essstörungen abgeschlossen. Die Rückkehr ins Elternhaus bringt aber die fragile Familiendynamik ordentlich ins Wanken. Die Brüder sind beide schon lange weg, Igor, den Älteren, zog es nach Finnland, Ruben fürs Studium in die Hauptstadt. Das Verhältnis von Mutter und Tochter war immer schon angespannt.
Nach und nach gelingt es Maren, ihr Leben neu zu ordnen und wieder auszuziehen. Sie macht ein paar wenige neue Freunde, lebt in ihrer eigenen Wohnung am See und findet auch eine Arbeit, als Aufseherin im Kunstmuseum. Den Stein innerhalb ihrer Familie aber, den sie durch ihre Rückkehr losgetreten hat, kann sie nicht wieder stoppen. So beginnt sie zwar wieder auf eigenen Füssen zu stehen, das Familiengefüge verliert aber immer wie mehr an Bodenhaftung.
Eva Schmidt überzeugt mit den subtilen Beziehungsdynamiken die sie auf den Tisch knallt. Innerhalb Marens Familie wird nie viel aus- oder angesprochen. Man spürt aber, wie sich die familieninnere Ordnung ausdehnt und aufs Äusserste gespannt, kurz vor dem Platzen steht. Da ist Vera, die Mutter mit einem schwierigen Verhältnis zur eigenen Tochter. Da ist Robert, der Stiefvater, der eine unangenehme Nähe zur Tochter pflegt. Da sind die Brüder, die Reissaus genommen haben. Da sind aber auch die neuen Bekanntschaften von Maren, die sie oftmals in alte Verhaltensmuster zurückfallen lassen. All das wird von der Autorin subtil und leichtfüssig aufgeworfen. Unter der Oberfläche lässt der grosse Knall auf sich warten.
Eva Schmidts Prosa verschmilzt komplett mit der Protagonistin und färbt alle Geschehnisse mit Marens Blickpunkt. Und trotzdem hat sie einen Roman geschrieben, dem es gelingt, sein letztes Geheimnis auch auf der hintersten Seite nicht vollständig preiszugeben. Eine Andeutung muss hier reichen. Alles ist durch Marens Blick gefärbt, diese Maren will sich aber nicht so recht fassen lassen. Der Roman schafft eine ungeheure Spannung und erlaubt es sich manchmal, in Anspielungen zu verharren. Vielleicht auch, weil für das, was geschehen war, Worte nicht einfach zu finden sind. Und wahrscheinlich auch, weil Worte gar nicht vermitteln können, was geschah.
In einem Rutsch habe ich diesen Roman durchgelesen. Diese klare und reduzierte Sprache hat mich fasziniert und gefesselt. Eva Schmidts Roman ist vordergründig ein Familiendrama, aber auch ein Kommentar zu einer Generation, die nicht so genau weiss, was sie eigentlich will. Und am Ende werden alle Annahmen des Lesers noch einmal gehörig über den Haufen geworfen.
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