Ein Irokese am Genfersee von Willi Wottreng
Nick Lüthi
In “Ein Irokese am Genfersee” von Willi Wottreng wird die Geschichte eines Irokesenhäuptlings erzählt: Deskaheh reist als Vertreter verschiedener Irokesenstämme, den sogenannten Six Nations, 1923 nach Genf. Dort will er beim frisch gegründeten Völkerbund vorsprechen. Sein Ziel ist es, die Six Nations als eigenständige Nation zu etablieren, um sich so aus den Fängen Kanadas zu befreien. Bis vor den Völkerbund hat er es aber nie geschafft, als er über ein Jahr später wieder abreist. Obwohl er in der ganzen Schweiz herum getourt ist und vor Tausenden von Leuten gesprochen hat, die Mühe war vergebens.
Begonnen wird die eigentliche Geschichte Deskahehs in der Jetztzeit mit einer Rahmenerzählung. Die Staatsanwältin Haldimann stösst per Zufall in einem Antiquariat auf ein Foto von Deskaheh von seinem Besuch in der Schweiz. Fasziniert von diesem Foto, startet sie ihre Recherche, wühlt in Akten und durchwälzt Archive, immer auf der Suche nach mehr Informationen zum Fall Deskaheh. Die Rahmenhandlung wird dann zum Glück stark zurückgezogen und nur noch vereinzelt thematisiert, während hauptsächlich die Geschichte von Deskaheh, der bürgerlich Levi General heisst, geschildert wird. Und diese Geschichte, die hat es in sich. Man kann sich darüber streiten ob es die Rahmenerzählung um die Staatsanwältin Haldimann braucht, welche als Figur etwas schwach ausgeleuchtet bleibt (und auch kaum Grund bekommt sich so vertieft in die Recherchearbeit zu stürzen) und der Geschichte wenig beiträgt. Schlussendlich ists aber egal, weil “Ein Irokese am Genfersee” jetzt mit oder ohne Rahmenerzählung einfach ein saugutes Buch ist.
Es gibt nicht viele Indianergeschichten die auf Schweizer Grund und Boden spielen können, aber Willi Wottreng hat wohl die Beste dieser Geschichten gefunden, ausgeschmückt und in Romanform vorgelegt. Was für ein tolles Buch! Da ist einerseits diese Geschichte, die völlig absurd ist, gerade auch weil tatsächlich so passiert, aber da ist andererseits auch dieser wunderbare Erzählton, da werden den Figuren auf schelmische Art und Weise Worte in den Mund gelegt und Dinge angedichtet, dass es eine wahre Freude ist.
Aber obwohl dies vordergründig eine Indianergeschichte ist und bleibt, so ist sie doch einiges mehr. Gleichzeitig wird nämlich auch verhandelt, was es heisst, Teil einer Minderheit zu sein aber auch was für einen Stellenwert indigene und unterdrücke Völker in unserer Weltgesellschaft haben sollen und ob dies staatliche Souveränität mit einschliesst oder nicht. Die Geschichte oszilliert wunderbar zwischen dem ernsten Hintergrund des unterdrückten Volkes und dem leichten Erzählton. Zum Ende hin schafft es die Geschichte auch noch, sich noch einmal dramatisch zuzuspitzen. Nebst dessen erfüllt die Ausgabe auch bibliophile Ansprüche mit Leseeinbändchen, Prägung auf dem Cover und bedrucktem Vorsatzpapier. Man erwirbt hier ein Kleinod, welches man sich gerne ins Regal stellt.
Alles in Allem: Ich bin begeistert und möchte den Roman wärmstens empfehlen. Wunderbar verpackt gibt es hier vieles zu entdecken. Willi Wottreng legt mit seiner schweizerischen Indiandergeschichte einen grossen Wurf vor.
Website des Verlags zum Buch ausserdem ein höhrenswertes Interview von Willi Wottreng zum Irokesen.
Willi Wottreng: Ein Irokese am Genfersee.
Gebunden, mit Lesebändchen.
198 Seiten.
bilgerverlag.
Zum Verlag:
Der bilgerverlag ist ein unabhängiger Schweizer Verlag mit Schwerpunkt Belletristik. Gegründet 2001 und hervorgegangen aus der 1983 gegründeten Buchhandlung sec52.
Wem dieses Buch gefällt, dem gefällt vielleicht auch:
Des Lebens fünfter Akt von Volker Hage
We are a cackle of hyenas.
Thanks for reading us.