Einsame Weltreise von Alma M. Karlin

Einsame Weltreise von Alma M. Karlin.

Kurz nach Beendigung des 1. Weltkriegs, brach Alma M. Karlin auf eine Weltreise auf. Dass die Weltreise fast neun Jahre dauern und sie quer über den ganzen Globus führen würde, wusste sie noch nicht, als sie im November 1919 in Genua, Schreibmaschine Erika und ein selbstgeschriebenes Wörterbuch unter dem Arm, die “Bologna” betrat, die sie nach Südamerika bringen sollte. Einsame Weltreise enthält die Reiseaufzeichnungen von Karlin der ersten 3–4 Jahre und nicht, wie man zuerst vermuten mag, die ganzen acht Jahre von Karlins Weltreise. Es ist der erste von drei Bänden und behandelt ihre Aufenthalte in Südamerika, Hawaii, Japan und China. Die beiden anderen Bände werden sukzessive im AvivA Verlag erscheinen.

Der Einstieg ist bereits furios, an Bord der “Bologna” reist Karlin in der 3. Klasse, da sie sich Tickets für die höheren Klassen nicht leisten kann. Über Wochen schläft sie im engen Bett, eingepfercht zwischen anderen Frauen in einem schwülen Raum tief im Schiffsinnern. Die Schreibmaschine Erika bleibt dabei unter den Armen eingeklemmt und wird auch des Nachts nicht von ihr losgelassen. Bereits die Schifffahrt auf der “Bologna” enthält viele Merkmale, die diese Aufzeichnungen so bemerkenswert machen. Anders als andere berühmte Reisende, Weltumsegler und Abenteurer standen Alma M. Karlin kaum finanzielle Mittel zur Verfügung. Sie musste deshalb penibel auf den Finanzhaushalt achten und reiste mit der meist ärmlichen Lokalbevölkerung in den unbequemen und gedrängten Klassen, hauste in einfachsten Unterkünften und war ständig auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten.

Finanziert hat sich die äusserst Sprachbegabte Karlin die Reise mit Übersetzertätigkeiten, Sprachunterricht und journalistischen Beiträgen für Zeitungen. Unterwegs wird sie wiederholt lange Aufenthalte in Kauf nehmen, um sich etwas Geld zu verdienen und anzusparen. Dieser Blickwinkel auf die Welt und die lokalen Bevölkerungen ihrer Reiseziele ist einzigartig. Durch ihre Übersetzertätigkeiten und geringen Geldmittel, erhielt Karlin Einblicke in Leben und Arbeit der besuchten Länder und Kontinente, die fast allen anderen Reisenden dieser Zeit verwehrt geblieben sind.

Einzigartig ist aber auch die Perspektive als alleine reisende Frau. Karlin war ohne Begleitung unterwegs und hat sich ganz auf sich selbst verlassen. Gerade die Passagen über Südamerika sind erschreckend, regelmässig musste sie sich Raub- und Vergewaltigungsversuchen erwehren. Belästigungen waren stellenweise fast täglich Brot. Anhand ihrer Schilderungen lässt es sich nur vermuten, wie schwer es manchmal gewesen sein muss, alleine als Frau auf Weltreise zu sein. Gerade von anderen Frauen hat Karlin aber auch einiges an Solidarität erfahren. Aus dieser Perspektive sind die Aufzeichnungen Karlins besonders erhellend, ermöglichen Einblicke in das Leben der Frauen und Kinder zu Zeiten, wo Reiseberichte zu diesen Themen selten sind.

Wer Einsame Weltreise lesen will, muss sich bewusst machen, dass der Text ein zeitgeschichtliches Dokument ist. Alma M. Karlins Äusserungen sind stellenweise zutiefst rassistisch und menschenverachtend und folgen ganz klar Rassentheorien, die Menschen weisser Hautfarbe als überlegen betrachten. Immer wieder drückt dieser Hintergrund, dieses arrogante europäisch Überhebliche im Text durch. Jerneja Jezernik thematisiert Karlins Äusserungen und Haltungen im Nachwort kurz und weist darauf hin, dass sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung “als völlig akzeptabel und selbstverständlich” galten. Dies ist belegt alleine dadurch, dass Karlin nach Veröffentlichung der Einsamen Weltreise zu einer der berühmtesten Reiseschriftstellerinnen Europas avanciert ist. Sowohl im Vorwort als auch im Nachwort wird betont, dass Karlin ein “Kind ihrer Zeit” gewesen war, und dementsprechend über Rasse und Herkunft gedacht und geschrieben hat. Das mag stimmen, es wird aber nicht thematisiert, dass ihrer Äusserungen umso erschreckender sind, wenn man bedenkt, dass sie jahrelang auf Reisen war, Dutzende Sprachen sprach und trotz all dieser Erlebnisse immer noch in ihrer Rassenideologie gefangen blieb.

Einsame Weltreise ist ein beeindruckendes, wie auch ein erschreckendes Werk. Beeindruckend in den Erlebnissen und Einblicken die es aus einzigartiger Perspektive schildert, erschreckend in den Dingen die Karlin widerfahren sind, erschreckend aber auch in Bezug auf seine rassistischen Äusserungen und Geisteshaltungen. Ein zeitgeschichtlich äusserst spannendes und wichtiges Werk. Es muss aber auch zwingend als solches gelesen werden und an den Kernstellen des Zeitgeistes klar thematisiert werden.

Einsame Weltreise von Alma M. Karlin.

Alma M. Karlin: Einsame Weltreise.

Originalveröffentlichung 1929.

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jerneja Jezernik.

400 Seiten.

AvivA.

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Zum Buch: bedruckter Einband (Karton) · bedrucktes Vorsatzpapier (historische Karte) · fadengeheftet

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Verlegerin Britta Jürgs war zu Gast im BookGazette Podcast. Nachzuhören hier: