Erstaugust von Lisa Elsässer
Nick Lüthi
Zehn Erzählungen und ein Langgedicht sind in “Erstaugust” versammelt, mit einer Länge von zwei bis 38 Seiten sind die meisten Erzählungen kurz bis sehr kurz. Die Länge der Geschichten spiegelt sich auch in den massgeblichen Stilelementen wider. Die Erzählungen sind stark verknappt und präzise erzählt. Präzision und Verknappung finden sich auch in den Figuren, bleibt das Erzählte doch ganz bei ihnen und lässt ihre Motive und ihr Handeln aus dem eigenen Empfinden erwachsen. Lisa Elsässers Erzählton führt aber nicht etwa zu kargen Seelenlandschaften, sondern zu poetischen und lebendigen Stilstudien.
In der längsten Erzählung “My sister and I” lotet Elsässer das komplizierte Familiengefüge zweier Schwestern, Lea und Isa, aus, deren Bindung zwischen Nähe und Distanz oszilliert. Elsässer beweist in dieser Erzählung, wie übrigens in allen anderen auch, ein besonderes Gespür fürs präzise Erzählen. Auf der Klaviatur des Zwischenmenschlichen haut sie äusserst gekonnt in die Tasten, trifft dabei mit jedem einzelnen Wort den richtigen Ton. Vieles in ihren Geschichten bleibt unausgesprochen, was sich prototypisch an Lea und Isa zeigt. So sind sie einander zwar nah, verstehen oftmals aber nicht, was diese Nähe in der Anderen auslöst und wie diese damit umzugehen weiss. Was zwischen den beiden aber vorgeht, es dringt aus jedem Wort heraus. Elsässer vermischt präzise Sprache mit diesem zwischenmenschlich Unausgesprochenem. Was vorerst widersprüchlich anmutet, löst sich beim Lesen schnell in Harmonie auf.
Durchdrungen ist die Präzision in der Sprache von Poesie und Wortspielerei. Im obigen Zitat wird so der wortwörtliche Hunger zum sprichwörtlichen nach Leben, dementsprechend muss die resultierende Schelte auch “verdaut” werden. Verpackt in diesen einzigen Satz ist dabei auch die Gegensätzlichkeit der beiden Schwestern und ihre wesentlichen Charakterzüge. Was ich hier exemplarisch gezeigt habe, zeigt sich in der Sprache des gesamten Bandes. Die Figuren sind durchwegs etwas schrullig und liegen in ihrem Wesen und Verhalten, um bei der Metapher der zwischenmenschlichen Klaviatur zu bleiben, oft einen Halbton daneben. Manchmal bekommen sie Namen, die Wesen, die Lisa Elsässer hier aufbeschwört, sie könnten aber jeweils genauso gut keine Namen tragen, so wie sie dastehen. Im eigenen Leben nur halb verwurzelt, den eigenen Gefühlshaushalt nicht im Griff, die Worte fürs eigene Empfinden noch nicht gefunden.
Anders als in anderen Erzählbänden sind dies hier nicht einfach Fingerübungen, um sich die Zeit zwischen zwei Romanen zu vertreiben. Das hier ist eine bewusste Reduktion, man merkt den Texten an, dass hier um jedes Wort gerungen wurde. Der Kulminationspunkt dieser bewussten Reduktion findet sich im Langgedicht “WAS DAS LEBEN AM BESTEN KANN”, welches alle Elemente der Elsässerschen Sprache aufgreift und ins Extrem treibt. Befreit von Interpunktion und Gross/Kleinschreibung, plätschert präzise Sprache heraus, die vieles Unausgesprochen lässt, nie aber den Faden und die Poesie verliert, sich aber fast vollständig von Figuren löst. Es bleiben dann Sprachbilder wie “im magnetfeld eines ersten augenblicks” oder “ameisen standen mir spalier”.
Lückenfüller haben hier keinen Platz. Im Gegenteil, es gibt kaum Verschnaufpausen um in dieser poetischen, präzisen Sprache zu versinken. Selbst die längeren Erzählungen schaffen es, die Spannung der Verdichtung aufrechtzuerhalten und mit den gleichen Elementen zu glänzen, wie dies die kürzeren Erzählungen tun. Elsässer erzählt leicht und beschwingt, nur bei genauer Betrachtung merkt man, wie hier um jedes Wort gerungen wurde. In dieser reduzierten Sprache versteckt sich grosse poetische Wirkmacht.
Zum Buch: bedruckter Einband (Karton) · Klebebindung · farbiges Vorsatzpapier (orange) · Lesebändchen (rot)
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