Geistergeschichte von Laura Freudenthaler
Nick Lüthi
Anne und Thomas sind seit über 20 Jahren ein Paar, als Anne eines Morgens begreift, dass es im Leben von Thomas jemand anderen gibt, ein Mädchen. Die Klavierlehrerin Anne hat da gerade ihr Freijahr begonnen. Während Sie anfänglich noch täglich übt und am geplanten Lehrbuch arbeitet, driftet das Klavierspiel und die Arbeit am Lehrbuch in immer weitere Ferne. Anne streift durch die Stadt, verliert sich in Kaffeehäusern und immer wieder taucht er auf, der Geist des Mädchens. Während dieser Geist vorerst nur durch Annes Sachen wühlt, ihr nachspüren will, wird der Geist immer zutraulicher, bis die beiden schlussendlich in Dialog treten. Beide sind sie neugierig, wer die jeweils andere ist.
Zugegeben, die Grundidee dieser Geschichte ist wenig spektakulär. Der Ehemann in seinen Fünfzigern, der seine Frau mit einer bedeutend jüngeren betrügt, ist nicht neu, um nicht zu sagen, dass es eine ziemlich ausgelatschte Trope ist. Zum Glück aber, ist ja gute Literatur mehr als die Geschichte die erzählt wird, es geht eben gerade nicht ums was, sondern ums wie. Es gibt zwei Gründe, weshalb “Geistergeschichte” nicht in seinem Plot verschwindet. Einerseits sind dies die gerufenen Geister. Nicht nur das Mädchen taucht als Geist auf, auch Anne und Thomas sind oftmals mehr Geist als Mensch. Andererseits ist dies die Kompromisslosigkeit der Perspektive. Konsequent im Präsens geschrieben treibt man als Leser in Annes Perspektive durch ihre Gefühlswelt.
Der eigentliche Geist dieser Geschichte ist nicht das Mädchen, es ist Thomas. Anne und er wohnen zwar noch zusammen, er ist aber nie da, wenn er da ist, ist er abwesend, schläft auf dem Sofa in seinem Büro und Anne sieht in nie mehr in den Räumen der Wohnung:
Thomas ist da also ganz geistgewordener Mensch. Stehend in den Türrahmen ist er immer zwischen etwas und was ist ein Geist anderes als ein Zwischenwesen. Ein Wesen stehend im Türrahmen von Leben und Tod. Anne liefert damit vielleicht das beste Bild für diesen Mann Mitte fünfzig. Eine jüngere, ein Mädchen, soll es sein, aber wirklich gehen, dass will er nicht. Will sich nicht lösen von der Frau, mit der er ein Leben aufgebaut hat und damit beeinflusst er auch sie. Denn auch Anne löst sich immer wie mehr auf, wird zum Mischwesen, wenn nicht mehr nur sie mit dem Mädchen redet, sondern auch das Mädchen mit ihr. Die Geister sind Ausdruck der leisen und feinen Zwischentöne die Laura Freudenthaler in diesem Roman anschlägt.
Vollendet werden diese feinen Zwischentöne in der Erzählperspektive. Wie man bereits vermuten mag, die “Geistergeschichte” wird erst zur Geistergeschichte, weil hier beständig im Präsens und aus Annes Perspektive erzählt wird. Als Leser versinken wir in Annes Gedanken, völlig egal, ob uns Geister oder Figuren begegnen, es ist ja doch alles eins. Und gerade dadurch gelingt dieser Roman so gut. Durch die komplette und kompromisslose Verwurzelung in seiner Hauptfigur.
Die Geistergeschichte mag zwar einen oft erzählten Ausgangspunkt haben, bohrt sich aber tief im menschlichen Befinden ein und schafft so Bezüge, die lange nachhallen. In einfacher Sprache folgen wir unerbittlich dem Blickpunkt der Protagonistin, die von Geistern heimgesucht, nur wieder Halt in den Räumen finden will.
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