Klassiker: Das Gilgamesch-Epos
Nick Lüthi
Die Klassikerbesprechungen auf BookGazette folgen alle dem gleichen Muster: Als Klassiker gilt, was über 50 Jahre alt ist und als herausragendes Werk betrachtet wird, sei dies nun in einem spezifischen Genre oder im Allgemeinen. Einerseits werden in einer solchen Besprechung meine Leseeindrücke geteilt und dabei auch, wie es ist, als moderner Leser sich diesen Stoffen zu widmen. Andererseits wird hier auch immer eine konkrete Ausgabe und Edition eines Klassikers besprochen, wenn man sie also nicht lesen mag, kann man sie sich wenigstens in schöner Ausführung ins Regal stellen.
Als eines der ältesten mehr oder weniger komplett überlieferten Werke menschlicher Literatur ist das Gilgamesch-Epos so oder so lesenswert, alleine aufgrund seiner immensen kulturellen Bedeutung. Es erzählt von Gilgamesch (König von Uruk), seiner Freundschaft zu Enkidu, ihrem gemeinsamen Kampf gegen Chumbabwa, dem anschliessenden Tod des Freundes und Gilgamesch’ Trauer über diesen Verlust.
Wie es viele dieser Schriftstücke so an sich haben, ist auch das Gilgamesch-Epos weit weg von unserer modernen Erzähltradition. Die Erzählung ist stark verdichtet und die wichtigsten Elemente der Erzählung sind bereits in der obigen Kurzbeschreibung nacherzählt. Wem es nur darum geht die Geschichte zu erfahren, der liest am einfachsten die Zusammenfassung auf Wikipedia. Davon rate ich aber ab. Die dort vorgetragenen Zusammenfassungen machen beispielsweise nicht klar, dass das Epos nicht komplett überliefert ist. Trotz weit fortgeschrittenem Forschungsstand fehlen wichtige Teile. Das Gilgamesch-Epos ist in verschiedensten Varianten überliefert, aber keine dieser Überlieferungen ist vollständig. Erst beim Lesen der vorliegenden Ausgabe wird einem dies richtig bewusst.
Die hier besprochene Reclam Ausgabe bietet einen einleitenden Kommentar, eine neue Übersetzung der 11 Tafeln der ninivitischen Version, Auszüge aus den altbabylonischen Texten, ausführliche Erläuterungen und ein Glossar. Leistet dem Leser, also herausragende Hilfestellung bezüglich der Aneignung und Verständigung des Textes. Einen solchen Text nur als Zusammenfassung zu lesen, verwehrt einem den kompletten Zugang dazu, man muss sich erst über die fehlenden Teile im Text wundern, damit man sie später aus der altbabylonischen Version für sich selbst ergänzen kann, um ein kompletteres Bild zu erhalten. Was ich an dieser Ausgabe sehr gelungen finde ist, dass sie nicht vortäuscht vollständig zu sein, sondern aufzeigt, wie viel Text nicht mehr vorhanden ist. Trotzdem ist die Ausgabe keine wissenschaftliche Edition, die ein Mensch ohne Promotion in Altphilologie nicht lesen kann. Der Text ist zugänglich, bleibt aber seiner Überlieferung treu.
Wer die Reclam Bibliothek kennt, der weiss bereits, auf was er sich hier einlässt, ein schön gebundenes Buch im Schutzumschlag mit Lesebändchen und einer zuverlässigen Textedition. Ich möchte hier aber nicht zwingend diese Edition ans Herz legen, sondern viel eher die Lektüre des Epos. Es kann beispielsweise auf dieser Website vollständig gelesen werden. Ich erachte es als äusserst wichtig, auch diese sperrigen Werke der Weltliteratur zu lesen und zu reflektieren (In Klammern sei hier auch dem Atheisten die Bibellektüre ans Herz gelegt.). Als Menschen haben wir eine immense Erzähltradition, umso spannender ist es, in diesen alten Geschichten zu graben.
Wolfgang Röllig (Hg.): Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert von Wolfgang Röllig, hier rezensiert als fester Einband, 182 Seiten, Reclam Verlag, erschienen 2009, weiterhin erhältlich.
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