Glück von Dragica Rajčić Holzner
Nick Lüthi
Glück ist ein Dorf und kein Umstand, der die Menschen aus diesem Dorf besonders oft heimsucht. Im Gegenteil, nur Unglück nimmt Ana mit, als sie Glück verlässt. Und einen gewalttätigen Mann. In gebrochener und poetischer Sprache erzählt Dragica Rajčić Holzner vom Sich-verlieren und Wiederfinden und von männlicher Gewalt.
Ein Ich beginnt leise zu sprechen und erinnert sich. Bereits der erste Satz ist komisch entstellt, die bestimmten Artikel fehlen und an der einzigen Stelle wo ein Artikel steht, ist er falsch und übernimmt die Funktion eines Personalpronomens. Trotzdem mutet diese holprige, von Fehlern durchsetzte und von Substantiven bestimmte Sprache elegant an. Poetisch, voller Leben und ganz im eigenen Takt schlagend.
Das Ich, das da in diesem gebrochenen Deutsch spricht, gehört Ana, aufgewachsen im Dörfchen Glück. Geschlagen vom Vater, begrapscht vom Dorfpfarrer und schlussendlich auch geschlagen und bedroht vom eigenen Mann, der sie aus dem unsäglichen Glück mitgenommen hatte. Gebrochen ist nicht nur die Sprache, auch Ana ist von diesem harten Leben zumindest an den Rändern angerissen. Sie wird aber irgendwann die Kraft wiederfinden, um sich selbst zu heilen.
zogen die Eltern eine andere
lachende
Gesichtshaut an
und die Wörter wurden laut hinausgesagt.
Wenn sie allein zuhause waren
dann redeten sie kürzeste Befehlsätze
durch geschlossene Lippen.
Glück ist ein Buch, welches genau das ist, was viele Bücher sein möchten. Es ist ein Buch, das gnadenlos in seiner Entstehungszeit verankert zu sein scheint, zugleich ist es zeitlos in seinen Themen und seiner erzählerischen Wucht. Die Themen um Migration, Gewalt und Emanzipation könnten kaum tagesaktueller sein und trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, dass sich dieses Werk keinen Deut um den Zeitgeist schert, sondern eine Geschichte erzählt, die erzählt werden musste.
Dragica Rajčić Holzner hat über 10 Jahre an diesem Text gearbeitet, dem Text selbst merkt man diese Mühen nicht an. Der Urgewalt, die hinter den Zeilen lauert schon eher. Roman und formloses Langgedicht zugleich, kann man nur Erstaunen ob der erzählerischen Kraft, die darin steckt. Die Sprache ist äusserst raffiniert aufgebaut und wird von Dragica Rajčić Holzner immer wieder sehr gezielt angebracht. Wenn Ana etwa eine Situation die ihr widerfahren ist, nicht genau in der Ich-Perspektive schildern kann, spricht sie von sich selbst in der dritten Person. Dabei wird aber natürlich nur sprachlich zurückgeworfen, was im Leben von Ana passiert, ihr fehlen die Worte. Ganz bewusst bedient sich diese Sprache immer wieder der Mittel der Lyrik, verdichtet, überhöht und poetisiert das Alltägliche, genauso wie auch die Grausamkeiten.
Im Endeffekt kann man diesen Roman auf sehr viele unterschiedliche Arten lesen, weil auf sehr wenig Raum, sehr viel Material verdichtet wird, poetisch und gebrochen vorgetragen. Aber, eigentlich ist es gar nicht so wichtig, wie man den Text liest, sondern dass man ihn liest. Eine erzählerische Intensität wie in Glück findet sich nicht häufig, umso wichtiger also, diese seltene Situation auszukosten.
Dragica Rajčić Holzner: Glück.
edition spoken script 34.
220 Seiten.
Der Gesunde Menschenversand.
Webseite zum Buch Zum Buch: Klappbroschur · Klebebindung
Lesenswertes Interview mit der Autorin
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Der gesunde Menschenversand ist ein Verlag für Spoken Word. Seit 1998 werden aus Luzern hauptsächlich Schweizerdeutsche Sprechtexte in Buchform unters Volk gebracht. Bekannt ist der Verlag im Besonderen für die edition spoken script, in der neben vielen anderen auch Nora Gomringer, Pedro Lenz oder Beat Sterchi erscheinen.
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