Gott schaut nicht nur zu – Göttliches Tagebuch von Giacomo Sartori
Übersetzt aus dem Italienischen von Werner Menapace
Nick Lüthi
Man muss schon ein Schelm sein, um Gott all diese Worte in den Mund zu legen. Mit satirischem Talent erzählt ein allmächtiger Gott in Giacomo Sartoris Roman von ganz alltäglichen, ja, nahezu menschlichen, Sorgen und Ängsten. Ein genauso sinniges wie hintersinniges Vergnügen.
Einer wahrlich göttlichen Eingebung folgend, (böse Zungen würden hier von einer Existenzkrise sprechen) hat sich Gott dazu entschlossen, ein formloses Tagebuch zu führen. Darin berichtet er am liebsten von Dafne, in die er sich… sagen wir einfach, dass er Dafne gerne beobachtet. Tagsüber arbeitet sie als schlecht bezahlte Genetikerin in einem Labor, das Zubrot verdient sie sich mit Kuhbesamungen. Am Abend trifft sie meist Freunde, ab und an auch jemandem zu einem Date. Dafne weiss genauso wenig wie all die anderen Figuren, dass sie von Gott auf Schritt und Tritt beobachtet und manchmal auch gelenkt werden. Allwissend, allmächtig und alles sehend schwebt Gott im Kosmos und schaut zu.
Eigentlich hätte dieser Gott Besseres zu tun, aber momentan scheint er keine Lust zu haben. Deshalb die Tagebucheinträge. Diese Einträge sind zweierlei, mal sinniert er über die Vergangenheit und die menschliche Akzeptanz des Göttlichen, mal schaut er Dafne und ihrem Leben hinterher. Dieser Gott ist etwas eitel, wird nicht müde zu betonen, dass er alles sieht, hört, denkt, merkt und fühlt. Somit ist auch das Führen eines Tagebuchs ein eher sinnbefreites Unterfangen. Zu unserem Glück ist er aber ein grandioser Erzähler, der sich an die Konventionen menschlicher Erzählungen hält, was er, hier sind wir wieder bei der Eitelkeit, auch mehrmals betont. Obwohl er alles weiss und ändern kann, versucht er trotzdem etwas Spannung aufzubauen in seiner Geschichte.
Vordergründig ist Sartoris Roman natürlich eine böse (christliche) Religionssatire, die sich über den zentralen Gegenstand des Glaubens lustig macht, um nicht zu sagen, dessen Gegenstand in blasphemische Einzelteile verhunzt. Dieser Gott ist eitel, kleinlich, aufbrausend, eifersüchtig, liebend. Halt genau so, wie ihn die “vier Schreiberlinge” im alten Testament dargestellt haben. Diese Schreiberlinge übrigens, die mag Gott überhaupt nicht, da sie in ihrer Darstellung von ihm sehr ungenau und verzerrend waren und ein paar wenige Aussetzer von ihm überhöht haben. Die breiten Bezüge zur Religion und den religiösen Schriften sorgen immer wieder für Lacher, gerade weil Gott das Tagebuch eben auch dazu nutzt, um einige Dinge klarzustellen. Nicht nur mit den Schreiberlingen hat er noch eine Rechnung offen, auch seinem “angeblichen Sohn” gegenüber, ist er eher kritisch eingestellt. Im Roman werden also viele zentrale Elemente der christlichen Lehre blossgestellt.
Im Innersten ist Göttliches Tagebuch aber natürlich ein zu kluger Text, um ihn auf seine ausschlaggebende Provokation reduzieren zu wollen. Dafür ist dieser Roman zu fein durchkomponiert und zu breitgefächert in seinen Kenntnissen der religiösen Texte und Brauchtümer. Das ist genauso eine Reflexion über den Stand der Religion und ihren Stellenwert in modernen Gesellschaften, wie es eine über die Liebe ist. Der Behauptung nach, bedeutet Gott ein Mensch genauso viel, wie eine Ameise oder ein Bakterium, was nur logisch ist aus seiner Sicht als Schöpfer. Aber der Blick schweift dafür zu häufig auf Dafne, die “Bohnenstange mit dem Schutzumzug”, verharrt zu oft an dieser Stelle und beeinflusst zu häufig Worte und Taten, um dieser Behauptung wirklich Glauben schenken zu können.
Dieser hintersinnige Text macht einen Heidenspass. Die göttliche Liebe und der göttliche Blick dienen immer wieder als Spiegel, zur Menschheit und zur Religion. Was Maren Kames in Luna Luna an popkulturellen Bezügen liefert, doppelt Sartori hier mit religiösen Referenzen nach. Übersetzt hat den Roman Werner Menapace, der hier einen breiten Wortschatz bemühen muss, um sich mit der Sprachgewalt Gottes zu messen. Stellenweise merkt man der Übersetzung an, dass sie aus dem Italienischen stammt, was mehr als passend wirkt. Schliesslich muss Gott wohl Italienisch sprechen.
Göttliches Tagebuch ist ein Abgesang auf die Menschheit, ein Schöpfer blickt von ganz weit weg auf seine Kreation. Kommt näher und beginnt mit der Reflexion. Wo stehen diese Dinger, die er da geschaffen hat? Wie steht er selbst zu ihnen? Wie wird es weiter gehen? Was ist der Platz der Liebe für die eigene Zukunft? Und für die Zukunft der Andern? Dieses kluge, witzige, intelligente Buch nimmt eine aussergewöhnliche Perspektive ein, Giacomo Sartori verbrennt sich aber dabei keinesfalls die Finger. Im Gegenteil, die Flamme göttlicher Allmacht lodert in diesem Text.
Giacomo Sartori: Göttliches Tagebuch.
Aus dem Italienischen von Werner Menapace.
Reihe: LW italica.
Originalveröffentlichung 2016.
302 Seiten.
Launenweber.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · farbiges Vorsatzpapier (violett) · Lesebändchen (silber) · fadengeheftet
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Seit 2016 werden vom Launenweber Verlag Schätze gehoben, dies hauptsächlich als erzählende Prosa. In seiner italica Reihe beispielsweise, veröffentlicht der Kölner Verlag herausragende italienische Werke.
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