In den kommenden Nächten von Irmgard Fuchs
Nick Lüthi
Irmgard Fuchs' Roman ist ein Griff ins Herz. Direkt, voller Poesie und komplett auf sein zentrales Thema konzentriert, wird die Geschichte einer Emanzipation erzählt – in der direktesten Form, die möglich scheint.
Dieser erste Satz ist genauso schlicht, wie er symptomatisch für den Rest dieses Romanes steht. In der Folge lässt der Roman seine Leser*innen komplett mit Doro Grimm zusammenwachsen. Denn erzählt wird konsequent in der Du-Perspektive, es bleibt also tatsächlich kaum etwas anderes übrig, als zu dieser Doro Grimm zu werden.
Doro hat genug, von ihrem Job als Hochbauzeichnerin, von ihrem Freund Elmar und von ihrem Leben, in dem sie es sich gemütlich gemacht hat. Kurz entschlossen mietet sie sich eine Wohnung für die nächsten sechs Monate, kündigt ihren Job und verlässt Elmar und das gemeinsame Leben. Angekommen in dieser Wohnung mit Vogeltapete, blickt sie durchs Fenster nach draussen und beobachtet das Pärchen im Haus gegenüber; Kiki und Maro, denen sie, wie sich selbst auch, Kanarienvogelnamen gibt. Der Sommer ist so richtig heiss und Doro hat eigentlich nichts anderes zu tun, als wieder zu sich selbst zurückzufinden.
Diese Emanzipation Doros, weg aus dem behüteten Leben, dem Chef, der für ihre Arbeit die Lorbeeren einheimst und überhaupt allem, was ihr Leben bisher vorbestimmt hat, kommt eigentlich etwas unerwartet, so selbst weiss sie auch nicht recht, woher der Drang dazu kommt. Geschildert wird diese aber in sehr, sehr dichter Sprache, die voller Poesie erblüht und die einfachsten Beobachtungen des neuen Alltäglichen poetisiert. So wird bereits die Betrachtung eines Bettes zum Vorboten dessen, was nicht mehr gerade gerückt werden kann.
Erzählt wird sprunghaft, mit vielen Rückblenden, die mal Tage, mal Jahre zurückspringen und dann eben in dieser aussergewöhnlichen Du-Perspektive. Die Du-Perspektive fordert sehr viel Arbeit von der Leser*in, steht sie doch im kompletten Gegensatz zu üblichen Erzählkonventionen und Perspektiven. Die Verschmelzung mit Doro erfordert aktive Mitarbeit, die sich aber auszahlt. Denn Irmgard Fuchs gelingt mit der Erzählperspektive auch ein erzählerischer Kniff, diese Doro Grimm, die steckt in ihrem Leben fest, loslösen kann sie sich erst, wenn die Leser*innen zu ihr werden und sie dadurch aus den Fesseln dieses Seins befreien.
Das Debüt von Irmgard Fuchs hat etwas Magisches. Die Sprache schwingt voller Poesie, die Komposition ist extrem ausgeklügelt, wirkt aber nie bemüht. Die aussergewöhnliche Erzählperspektive ist kein Gimmick, um den Roman interessanter zu machen, sondern lebensnotwendiger Anstoss für die Protagonistin. Wie ein Kanarienvogel singt auch In den kommenden Nächten der herbeigesehnten Freiheit entgegen. Warum und wozu sind da vorerst die weniger wichtigen Fragen.
Zum Buch: bedruckter Schutzumschlag · bedruckter Einband (Karton) · bedrucktes Vorsatzpapier (Grafik) · Lesebändchen · Klebebindung
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