Werke ohne Rezeptionsgeschichte – Zu den Werken von Sigismund Krzyżanowski

Übersetzt aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg

Der Club der Buchstabenmörder und Münchhausens Rückkehr von Sigismund Krzyżanowski

Nach Das hündische Herz von Michail Bulgakow bekommen wir es schon wieder mit einem russischen Schriftsteller zu tun, dem die sowjetische Zensur arg zu Leibe rückte. Sigismund Krzyżanowski (1887-1950) traf es aber weitaus schlimmer als Bulgakow, zu Lebzeiten wurde von seinen literarischen Werken überhaupt nichts veröffentlicht, nur Theater und Drehbücher, die er mitverfasst hatte, fanden zur Publikation.

Erst 2001, also über 50 Jahre nach seinem Tod, wurde eine russische Gesamtausgabe veröffentlicht. Seit dem Abschluss dieser Gesamtausgabe 2013, wurden die Bücher vermehrt auch in anderen Sprachen zugänglich, so sind beispielsweise auf Englisch mittlerweile vier Bände erhältlich. Auf Deutsch sind nun zwei Werke verfügbar, beide verlegt als deutsche Erstübersetzungen bei Dörlemann. “Der Club der Buchstabenmörder” erschien 2015, “Münchhausens Rückkehr” 2018 und um diese beiden Werke soll sich nun der folgende Beitrag drehen.

Wem die Lektüre eines oder beider der Bücher noch bevorsteht, darf sich freuen, Krzyżanowski zu entdecken ist eine wahre Freude. Beim Lesen wird ziemlich schnell klar, dass man es hier mit einem grossen Schriftsteller zu tun hat, der in der Tradition des surrealen Erzählens steht.

Beide Werke entstanden in den Jahren zwischen 1925 und 1930, der kreativsten Schaffensphase Krzyżanowskis. Beide wurden nie veröffentlicht und vereinen Elemente des mehrschichtigen Erzählens. Flankiert werden die Romane (wobei diese Zuschreibung streitbar ist und wir es vielleicht viel eher mit Novellen zu tun haben) mit Nachwörtern von Thomas Grob, welche Bedeutung und Entstehung der Werke umreissen. Aus dem Russischen übertragen wurden die Werke von Dorothea Trottenberg. Schön, wird die Arbeit der Übersetzerin vom Verlag entsprechend gewürdigt und bereits auf dem Cover vermerkt.

Der Club der Buchstabenmörder

Im, 2015 veröffentlichten und 1925–1926 entstandenen, Roman treffen sich verschiedene Schriftsteller jeden Samstag in einer Moskauer Wohnung vor einem Kaminsims, um sich Geschichten zu erzählen. Die Geschichten aber dürfen nicht nach aussen dringen. Papier ist der Feind dieser Schriftsteller. Die Meisten schreiben schon seit Jahren nichts mehr, geschriebenes wird sogleich verbrannt. Die Verbannung des geschriebenen Wortes folgt aber nicht aus Notwendigkeit, es ist selbstauferlegte Einschränkung der versammelten Schriftsteller.

Die Schriftsteller, die sich im Hinterzimmer treffen und sich Geschichten erzählen, bilden die Rahmenerzählung. Herzstück sind aber die jeweils vorgetragenen Erzählungen selbst. Die Rahmenhandlung wird zu grossen Teilen des Romans auf den kleinstmöglichen Nenner reduziert und in ein paar wenigen Sätzen abgehandelt. Krzyżanowski wirft dem Leser in jedem Kapitel eine neue Erzählung um den Kopf, die Erzählungen werden immer wilder und länger. Wandern vom Absurden ins Fürchterliche bis hinein ins Abscheuliche. Immer wieder werden die einzelnen Erzählungen von den Schriftstellern reflektiert, um dann beispielsweise ein besseres oder anderes Ende erzählt zu erhalten.

Die Buchstabenmörder des Krzyżanowski erkaufen sich Narrenfreiheit durch ihren Verzicht auf Papier. Erst durch die Abwesenheit des Papiers wagen sie sich auf die verrücktesten Äste ihrer Erzählungen hinaus. Diese Erzählungen sind durchweg phantastischer Natur und stellenweise von surrealer Blödsinnigkeit durchzogen. Ich kam nicht umhin, bereits beim Lesen zu denken, dass ich es hier mit einem grossen Autoren zu tun habe. Krzyżanowski verwebt auf meisterliche Art und Weise verschiedenste Erzählungen und hat ein sehr geschicktes Gespür dafür, wie die Rahmenhandlung zu zeichnen ist. So bleibt die Rahmenhandlung zwar wichtig und präsent, lässt den Erzählungen aber genügend Raum sich selbst zu entfalten.

Lustigerweise stand der Roman über drei Jahre bei mir im Regal, bevor ich ihn gelesen habe. Ich erinnere mich noch vage daran, ihn einmal gekauft zu haben. Daran spiegelt sich ja auch schon die Rezeptionsgeschichte Krzyżanowskis wider, selbst jetzt, da er doch verfügbar ist, überblickt man ihn im Regal. Lässt ihn dort stehen. Deshalb: Krzyżanowski ist ein Phantast und schrieb fantastische Literatur, die es zu lesen gilt!

Münchhausens Rückkehr

Graf Münchhausen, mit bürgerlichem Namen Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, auch bekannt als Lügenbaron, bildet die Projektionsfläche und Gerüst für den vorliegenden Roman “Münchhausens Rückkehr”. Der Baron fällt dabei aus seinem Buch heraus, genauer gesagt springt er aus seiner eigenen “Londoner Erstausgabe von 1783” und taucht als 200-Jähriger in den 1920 Jahren wieder auf. Nach kurzem Aufenthalt in Versailles, besucht der Baron die europäischen Metropolen und erzählt dabei immer wieder von seinen Erlebnissen. Lange Zeit war dieser auferstandene Baron nämlich unterwegs im sowjetischen Reich und erlebte dort “wunderbare[…] Abenteuer und Feldzüge”.

Wie es von einem Lügenbaron zu erwarten ist, vermischen sich Phantasmen und wahrhaftiges auf höchst unterhaltsame Art und Weise in seinen Erzählungen. Als Ankerpunkt der Geschichte dient Ernst Unding, seinerseits Dichter. Wir begegnen dem Baron durch seine Augen. Die Geschichte um den Dichter Ernst Unding, welcher den Baron in der Jetztzeit des Romans auffindet und trifft, markiert die Rahmenhandlung des Romans. Flankiert wird dieser Rahmen durch Erzählungen des Barons selbst, diese erzählt er an den verschiedensten Orten, gerne auch vor Publikum als öffentlichen Vortrag.

Es wird natürlich zum wiederholten Male vortrefflich phantasiert, so half beispielsweise der Baron einheimischen Räubern dabei, den Mond aufzublasen, damit Raubzüge bei jeder Mondkonstellation möglich waren. Oder auch, die Einfuhr der Münchhausen-Küche half, grosse Hungersnöte zu unterbinden. Faszinierend bleiben hier Krzyżanowski Fabulierlust, seine Freude Phantasmen zu spinnen aber immer auch die Bereitschaft, diese zu reflektieren. So wird der Baron selbst des Fabulieren drüssig, als seine Phantasmen beginnen, sich mit Wahrheiten zu vermischen.

Wie Thomas Grob im Nachwort noch einmal betont, hat Krzyżanowski nicht nur herumphantasiert. So sind beispielsweise die Erzählungen über die Münchhausen-Küche historisch umrahmt von Hungersnöten in grossen Teilen des sowjetischen Reichs. Auch seine eigene Lebensgeschichte hat Krzyżanowski in der Erzählung um den Lügenbaron vorweggenommen. Der Baron wendet sich zum Ende von den Buchstaben ab, will sie nicht mehr lesen und begreifen, Krzyżanowski wiederum verlor bei einem Schlaganfall seine Fähigkeit zu lesen.

So bleiben gerade in “Münchhausens Rückkehr” die Stilelemente grosser phantastischer Literatur stets im Vordergrund und Krzyżanowski nutzt auch hier die Rahmenhandlung sehr geschickt um Erlebtes und Erzähltes zu überdenken und neu zu deuten.

Werke ohne Leser

Beide Werke überlappen sich in den Motiven und in der von Krzyżanowski gewählten Erzählform. So werden in beiden Romanen die Geschehnisse respektive deren Nacherzählung reflektiert und, je nach Lust und Laune, geschickt umformuliert und abgeändert. Stets ist es dem Leser bewusst, dass er sich in die Fänge eines Phantasten begeben hat, sowohl beim Lügenbaron als auch bei den Buchstabenmördern, aber immer ist man als Leser gewillt, in dieser Phantastik zu versinken. Selten webte ein Autor so feine Spinnennetze des Absurden um den Leser herum, wie dies Krzyżanowski gelingt. Als Leser bleibt man willentlich und wohl umhüllt in seinem Netz gefangen.

Die beiden Romane von Sigismund Krzyżanowski sind nicht nur deshalb so gut, weil dieser ein Phantast und Träumer sondergleichen war, sondern auch, weil er es immer wieder schafft, in Rahmenhandlungen die Vermischung und Vermengung von Wahrheit und Phantasterei zu reflektieren, zur Schau zu stellen und auch, blosszustellen. Gerade in “Münchhausens Rückkehr” vergeht einem kurz die Lust am Fabulieren, wenn sich Wahrheit und Phantasterei zu sehr angleichen. Und natürlich, wie alle grossen Werke der Phantastik, nutzt der Autor diese Elemente immer auch wieder dazu, um Dinge zu besprechen, über die mit klaren Worten so nicht gesprochen werden kann. Verhandelt damit auch immer wieder die Verhältnisse der Sowjetzeit.

Der Dörlemann Verlag legt die Werke nicht nur in einer wunderbar fliessenden Erstübersetzung von Dorothea Trottenberg vor, die Werke sind auch ergänzt mit aufschlussreichen Nachworten von Thomas Grob, Professor für Slavistik an der Uni Basel und kommen in schmucker Leinenausgabe daher. So gehören Klassiker gemacht: Sauber kommentiert, gut übersetzt und bibliophil ausgestattet. Das Krzyżanowski gelesen gehört brauche ich hier nicht mehr zu erwähnen. Lange genug wurde dieser Autor vergessen. Es ist an der Zeit ihn wiederzuentdecken.

Sigismund Krzyżanowski: Münchhausens Rückkehr.

Sigismund Krzyżanowski: Münchhausens Rückkehr.

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg.

224 Seiten.

Dörlemann.

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Sigismund Krzyżanowski: Der Club der Buchstabenmörder.

Sigismund Krzyżanowski: Der Club der Buchstabenmörder.

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg.

Originalveröffentlichung 2015.

224 Seiten.

Dörlemann.

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Zum Verlag:
Der 2003 enstandene Dörlemann Verlag ist ein Züricher Verlag, welcher sich auf die Neuentdeckung vergessener Klassiker spezialisiert hat, aber auch immer wieder Schweizer Autoren verlegt.

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Weitere Übersetzungen von Dorothea Trottenberg


Weitere Links:
Englischer Artikel (gekürztes Vorwort) zur Biographie Sigismund Krzyżanowskis