Luna Luna von Maren Kames
Nick Lüthi
Das Firmament hängt hoch in Maren Kames Gedichtband Luna Luna. Wobei Gedichtband vielleicht das falsche Wort ist für dieses versatzstückelte Werk aus popkulturellen Referenzen und dem Klagelied eines leidenden Ichs. Der Mond bildet den Fixpunkt, der in aller Einsamkeit und Auseinanderbrecherei die Welt irgendwie zusammenhält und der als Bezugsgrösse dient. Die so zusammengehaltene Welt ist flüchtig, bevölkert von monströsen Bären, Gänsen aus Pappmaché und friedlich grasenden Kühen. Hoch über allem schwebt der Astronom Detlef Koschny, der mit klugen Zitaten die Welt und den Weltraum ins richtige Verhältnis setzt.
Eine rotzfreche Coolness strömt aus diesem Text. Verwebt mit Referenzen, die unter anderem durch schlechte Übersetzung neue Bezüge schaffen, sich aber immer in den Dienst des neuen Textes stellen. So wird aus der Songzeile
aus dem Song “No more «I love you’s»” von Annie Lenox, die wunderbar holprige deutschsprachige Entsprechung:
lunar gewesen
Eine Coolness mit Bezügen und Referenzen wie hier hat man im deutschsprachigen Raum so wohl zuletzt bei Marteria und seinem Song Seit dem Tag als Michael Jackson starb gesehen resp. gehört. Was vordergründig als willkürlicher Vergleich anmutet, mach Sinn, sobald man die Referenzen des Textes genauer betrachtet. Grösstenteils ist es Musik, auf die sich der Text bezieht, am Ende steht ein Soundtrack und erst die Musik liefert den Schlüssel, um Luna Luna zumindest etwas zu entziffern.
stehen alle gleichherum auf der wiese.
wieso!
ich bin circa in der mitte entzweigebrochen
und nicht wieder heil geworden.
circa in der mitte bin ich auseinandergebrochen
und nicht mehr zusammengewachsen.
Gleich zu Beginn bricht die Erzählstimme entzwei, was für den Rest des Texts ein entscheidendes Motiv bleiben wird. Das erinnert an den ebenfalls verwiesenen Roman Slaughterhouse Five von Kurt Vonnegut, dessen Protagonist von der Zeit losgelöst wird (“he became unstuck in time”). Während es bei Vonnegut also “nur” der Bruch mit der zeitlichen Wahrnehmung ist, zerfällt hier das erzählende Ich gleich vollständig. Lange wird aber die Tragweite dieses Bruchs im Text verschleiert, übertüncht und manipuliert von der inhärenten Coolness. Es ist ein Versteckspiel der Erzählstimme, die sich hinter einem Schleier an Zitaten und Verweisen versteckt.
Den entscheidenden Schlüssel für den Bruch liefern schlussendlich die zitierten Songs. Diese sind allesamt in einer tieftraurigen Stimmung gehalten, eine Stimmung, die der Text nicht transportieren will, wenn das Tragische karikiert, absurdisiert und verharmlost wird. Wer aber auseinanderbricht und nicht wieder zusammenwächst, muss wohl zwangsläufig eine Traurigkeit in sich tragen. Auch wenn man die gewählten Songs miteinander vergleicht, spiegelt sich der Auseinanderbruch wider, wenn etwa zwei der grossartigsten Trennungssongs vom wohl grössten Trennungsalbum aller Zeiten referenziert werden: Landslide und Hold your own von Fleetwood Mac, wobei Landslide eben gerade nicht in der Version von Fleetwod Mac, sondern in der von Stevie Nicks referenziert wird. Was den Bruch exemplarisch noch weiter verstärkt.
Auf den ersten Blick kann man diesem Text furchtbar Unrecht tun, das wirkt wie ein wild zusammengewürfelter Haufen, der in einer ihm eigenen Unstimmigkeit in keine klare Richtung voranpirscht. Zwar unterhaltsam, aber nicht mehr. Aber bei der zweiten, dritten, vierten Auseinandersitzung mit dem Text, werden sich klaffende Lücken auftun, eine brutal durchdachte Komposition wird sich entfalten. Die muss man aber selbst lesen, um sie wirklich zu begreifen. Der Text von Kames funktioniert ganz ähnlich, wie der erst kürzlich erschienene Gedichtband dekarnation von Eva Maria Leuenberger. Diesen kann man auch als Sammlung von unterhaltsamen aber eher harmlosen Gedichten lesen. Hier wie da wird sich aber bei der vertieften Auseinandersetzung eine sehr viel weitreichendere Komposition bemerkbar machen. Eine Oberfläche, die unter Spannung steht und aufgekratzt werden will. Hier kommt noch hinzu, dass der Text in ein äusserst hochwertiges Kleid gesteckt wurde. Feinstes Leinen, eine ausgeklügelte Gestaltung sowie ein geprägtes und wie der Mond funkelndes Cover. Und um genau den geht es ja, den funkelnden Mond, den Weltraum, der unsere Klagen und unsere Traurigkeit in die richtige Perspektive rückt.
Zum Buch: geprägter Einband (Comtesse-Leinen) · farbiges Vorsatzpapier mit Klappe (rosa) · Lesebändchen (schwarz) · farbiges Papier (schwarz) · fadengeheftet
Mehr über die Bücher des Secession Verlags:
Der Secession Verlag für Literatur, heimisch in Zürich und Berlin, verlegt, wie es der Name vorgibt, hauptsächlich zeitgenössische Literatur und dies meist in Prosaform. Alle Bücher werden äusserst aufwendig gestaltet und ausgestattet.
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