Trost spendende Loops
Nicht bei Trost von Franz Dodel und Loops von Carla Cerda
Nick Lüthi
Zwei ganz unterschiedliche Gedichtbände, ein Lebenswerk neben einem Debüt. Schwarz und Weiss. Hier der ledereingebundene Band, dort das digitalgedruckte Büchlein. In beiden lässt sich viel Spannendes finden.
Der Berner Franz Dodel hat sein Schreibprojekt Nicht bei Trost vor 18 Jahren in Angriff genommen. Ein Langgedicht, an dem er täglich weiter schreibt. Einzige Bedingung: Jede gerade Zeile soll 7 Silben haben, jede ungerade 5. Ein unendliches Gedicht also, in der Form eines Haikus. Stand heute ist das Werk mittlerweile bis auf Zeile 43’044 angewachsen, täglich nachzuverfolgen auf der grossartigen Webseite des Autors. Inhaltlich ist das Gedicht ein einziger Gedankenschwall, der durch die Haikuform in relativ sperrigen Rhythmus vor sich hin hüpft und strauchelt.
Jeweils 6’000 Zeilen erscheinen dann gebündelt in Buchform in der Edition Korrespondenzen. In einem ledereingefassten Band auf Dünndruckpapier. Letztes Jahr, zum 70. Geburtstag von Franz Dodel, sind alle sechs Bände (die immerhin 36’000 Zeilen umfassen) in einem Schuber erschienen, der auch auf dem Foto zu sehen ist. Wenn man so will, kann man diesen Schuber bereits ruhig ein Lebenswerk nennen, eines aber, das noch lange nicht abgeschlossen ist. Denn der nächste Band, der der bisherigen Logik folgend, die Zeilen 36’001–42’000 beinhalten sollte, ist ja bereits fertig geschrieben und der übernächste wächst täglich weiter und weiter.
ich rechne immer
mit der Oberfläche von
ihr aus ist es leicht
in die Tiefe zu blicken
«von den tiefroten
Beeren des Weiβdorns» diese
Ankündigung weckt
eine Vorstellung die das
Erinnern festhält
zugleich höre ich hinter
einem Schleier aus
milchig wässriger Gaze
(...)
Das Wunderbare an Franz Dodels Werk ist, dass es etwas repetitiv-beruhigendes hat, man geht zwar stets weiter, läuft aber trotzdem immer wieder in kleinen Kreisen umher. Ein vergnügsamer Gleichfluss stellt sich ein, der in gemütlichem Trott vorwärts geht. Franz Dodel ist es als einem von wenigen Autor*innen gelungen, die eigene Literatur wirklich und sinnvoll ins Netz zu überführen, zu bereichern und erweitern. Durch das tägliche Weiterschreiben erhält der Text auch eine gewisse Performanz, wer Dodels Seite regelmässig besucht, findet nicht nur immer eine Weiterführung des Gedichts vor, man kann auch dem Prozess des Schreibens auflauern und beobachten, wie dieses Gedicht weiter und weiter läuft.
Kommen wir aber nun zum Kontrastprogramm von heute. Während Franz Dodel schon seit fast 20 Jahren an seinem Werk fortschreibt, hat Carla Cerda gerade erst ihr Debüt vorgelegt. 2019 hat sie den Hauptpreis des Open Mike gewonnen, vor ein paar Wochen ist nun ihr Debüt im schweizerischen Lyrikverlag roughbooks erschienen. Loops heisst es, das schmale Bändchen von kaum 50 Seiten. Darin 6 Loops, Loop 1–6. Wobei Loops eigentlich ein zu harmloser Begriff ist für das, was Cerda im Inneren entfalten wird.
Das fängt schon damit an, dass die Gedichte im fast quadratischen Format längs keinen Platz haben und deshalb um 90 Grad gedreht wurden. Was natürlich Quatsch ist bei einem fast quadratischen Format, es ist natürlich ganz bewusste Dreherei, die hier der Leser*in abverlangt wird, es soll ein Rahmen gesprengt werden mit diesen Loops. Sprühend ist die Sprache, die die Autorin darin heraufbeschwört. Es gibt Entführungen, Tiefseedatenkabel, neu sortierte Körperteile, Marie Kondo, Trolle usw. usf. Cerda geht mit ungeheurer Sprachlust zu Werke und bildet so einen wilden Sprachmix, der problem- und mühelos vom Hundertsten ins Tausendste springen kann.
sollbruchstelle, flimmerteppich
ich falte gesteine nach dir und immer nach
zwei tagen ist dor dein gesicht aus glas und
hier meine nase
ich so: ich notier dein höchste stelle. ich fälle
den mittleren abstand mein zeh mein nabel
mein hals mein
Es ist gerade im Vergleich zu Dodel faszinierend, mit welchem Tempo Cerdas Loops fortschreiten. Während man Dodel in aller Ruhe beim Denken zusehen kann, vergisst man bei der Lektüre Cerdas glatt, dass man ja noch eine funktionstüchtige Lunge besitzt, so rasant fliegend die Erkenntnisse durch die Gedichte. Man wird schlecht sagen können, dass jemand, dem eines der beiden Werke gefällt zwangsläufig das andere auch mögen wird. Man kann aber sagen, dass es sowohl Cerda wie auch Dodel gelungen ist, sich die Sprache zunutze zu machen, sie zu verloopen und in einen ganz eigen festgezurrten Rhythmus zu gliedern. Beachtung haben beide Werke mehr als verdient.
Dies ist die redigierte und erweiterte Fassung eines Textes der im Rahmen eines Adventskalenders von We Read Indie erschienen ist.
Franz Dodel: Nicht bei Trost. alles. vorläufig.
6 Bände im Schuber.
Mit Illustrationen von Rudolf Steiner und Serafine Frey.
Originalveröffentlichung 2019.
3648 Seiten.
Edition Korrespondenzen.
Webseite zum Buch Zum Buch:
bedruckter Einband (Leder) · farbiger Vorsatz (Orange) · Dünndruckpapier · fadengeheftet
Zum Verlag:
2000 in Wien gegründet, verlegt die Edition Korrespondenzen «sprach- und formästhetisch orientierte Literatur, in der das Abenteuer von Sprache und Welt immer wieder neu gewagt wird». Ein besonderes Augenmerk des Verlags liegt auf der Lyrik.
Zum Buch:
Broschur · Klebebindung
Zum Verlag:
Urs Engeler hat nach einer kurzen Pause 2010 das Verlegerdasein mit roughbooks wiederaufgenommen. Die Bücher des Verlags sind alles Digitaldrucke mit einer einheitlichen typographischen Gestaltung und werden hauptsächlich über Abonnemente vertrieben. Fokus des Verlags ist seit jeher die Lyrik in allen nur denkbaren Spielarten.
We are a hover of trout.
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