Urheber*innenwettstreitereien

poesie.exe herausgegeben von Fabian Navarro

Die Rechenmaschinen sind in den Literaturbetrieb eingedrungen! Ganz frech haben Sie die noch konventionell (also langweilig) Schreibenden zu einem Wettstreit gerufen: Wer hat's also geschrieben, Mensch oder Maschine?

Urheber*innenwettstreitereien

Gleichberechtigt stehen in diesem Buch Texte von Berit Glanz oder Saša Stanišić neben solchen vom Eloquentron 3000 oder GPT-2. Der Eloquentron ist ein vom Herausgeber Fabian Navarro programmierter Bot, der Skelettsätze mithilfe von Wortlisten füllt und die Sätze dann neu arrangiert, während GPT-2 eine “künstliche Intelligenz” ist, die mit menschlichen Texten trainiert wurde und einen eingegebenen Textanfang dann weiterspinnt. Die Betreiber von GPT-2 (die Open AI Foundation) hatten letztes Jahr mit grossem Medientamtam vor ihrer “künstlichen Intelligenz” gewarnt und die Software zuerst vor der Öffentlichkeit verschlossen gehalten. Diese Inszenierung hat ganz gut funktioniert, die Software und die Foundation waren danach in aller Munde, mittlerweile ist ohne viel Aufhebens Version 3 erschienen und zumindest in meiner Bubble steht die Welt auch noch. Berit Glanz und Saša Stanišić dagegen sind ganz langweilige Menschen, so mit Herzen und Blutbahnen und Sauerstoffbedürfnis. Zumindest sind mir bisher keine gegensätzlichen Berichte bekannt und auch die Google Suche “Ist Berit Glanz (resp. Saša Stanišić) ein Mensch?” war ergebnislos, ich erlaube hier mir also, dementsprechend zu schliessen.

Im Buch poesie.exe stehen nun also 62 Texte, entstanden mit 28 sehr unterschiedlichen Methoden, einige davon sind maschinell, viele andere analog-menschlich. Die Texte im Buch sind ohne Autor*innenhinweise gesetzt, man weiss also während des Lesens nicht, wer oder was den Text verfasst hat. Die Zuteilung in Menschentexte und Maschinentexte wird zudem erschwert, da auch die Menschen nicht klar als menschlich erkennbare Texte geschrieben haben. So wurden etwa Auto-Bild Artikel verdichtet oder Würfel mit Begriffen beschrieben und dann per Zufall gewürfelt, oder es wurde auch ganz einfach wild auf der Tastatur herumgehackt (Eigentlich der herausragendste Text des Buches mit ungeahnter poetischer Tiefe). Jeder Text steht also unter einer gewissen Spannung, weil hier bewusst an und mit den Grenzen der Autor*innenschaft gespielt wird.

in ein paar jahren wird man sagen
wir seien gleichartig gewesen
die testläufe warten schon auf uns
und kein schilderwald in sicht
und niemand
der uns erwähnen kann
überall halbmastenangesicht
nennt uns ruhig »dementsprechend«
pumpkin spielplatz latte
in der schule, nichts über die presseberichte gelernt
immer wieder aufscheuchen
Füße streifen die Buche im Garten
die nichts bemerkt dunkel pfeift die Luft
Arme rudern müde Augen suchen
suchen das Zimmer suchen verlangen
Börse im Überblick dunkel fliegen
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die Decke das Licht liegen
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Fabian Navarro (Hg.): poesie.exe, S. 17/90.

Schauen Sie sich zur Veranschaulichung die beiden oben aufgeführten Gedichte an. Eines der Beiden wurde von einer Maschine geschrieben, das Andere von einem Menschen. Welches ist also von einer Maschine, welches von einem Menschen? Die Spannung, die von dieser Frage ausgeht, wird nicht nur beim Text selbst nicht aufgelöst, sie wird es im ganzen Buch nicht werden. Man erfährt zwar, wer am Band mitgewirkt hat und welche Methoden angewandt wurden, es werden aber keine Zuordnungen gemacht, es bleibt also offen, welcher Text mit welcher Methode entstand und wer sich hinter dieser Methode versteckt. Erst eine im Buch vermerkte Webseite erlaubt es, finale Zuordnungen zu machen. Aber, es hat seinen guten Grund warum die Zuordnungen aus dem Buch verbannt wurden, denn ein Wettstreit um Urheber*innenschaften macht erst richtig Spass, wenn die Ergebnisse an gleich langen Leisten gemessen werden. Denn darin sind ja auch erst die vielen Fragen um Rezeption und Entstehung von Texten versteckt, die im Buch sehr geschickt aufgeworfen werden.

Um dem Buch gerecht zu werden, kann ich natürlich nicht eine rein menschlich verfasste Rezension zum Besten geben. Das wäre mindestens peinlich und dem Untersuchungsgegenstand schlichtweg unangemessen. Ich habe also ein wenig herumgebastelt und selbst ein neuronales Netz zum Training herbeigepfiffen (Ein Recurrent Neural Network (RNN), implementiert in Tensorflow, für diejenigen, die das interessiert). Gefüttert wurde das Netz mit gut 5000 Gedichten zeitgenössischer Lyriker*innen, anhand derer es dann Lyrik-Deutsch gelernt hat. Als Vorgabe erhielt das Netz im folgenden Beispiel “Ein Astronaut” komplettiert wurde diese Vorgabe dann mit diesem Gedicht:

Ein Astronauts Buchstaben. Kömmen des Totenseits.
Geraden und Profenstahl zu verwandeln und der Welt
es zuckerte, der hier nur noch Haben, die Hirren.
Die Welt meine Liebe und Wind
und Leben an der Luft ist, als die Sufe
eine lassen von den Brillen für Ferne eingebracht
nach Glatte zu mir
Du warten sich dem Unterholz
Jenseits keinen Namenspitze
Und nieder Holz
und der Wind gelöst in die Aufstern, zum Stunden,
der in den Kopf gelingten Jahren, aber so sahen, irgendwo
das Jahren aus geben.
Sie werden die Loskilosen bestung schrieben
greifen.
Es still wie ein Blutkunft
unvermeilt mit ihr Bach.
Ein neuronales Netz auf Basis von Tensorflow. Gefüttert mit zeitgenössischer Lyrik. Programmiert von mir, Nick Lüthi.

Und so erlauben Sie mir doch bitte, nun wieder zu handverlesener Wortwahl zurückzukehren: poesie.exe berauscht nicht mit herausragenden Texten, der Band berauscht mit den vielen Fragen, die er stellt. An den Grenzen zu dem, was wir heute noch als Urhebertum oder Autor*innenschaft bezeichnen, wird mit wild die Grenzen verwischenden Linien herumgetanzt (wohl Ausdruckstanz oder Rhythmische Sportgymnastik). Ganz wunderbar. Von daher: unvermeilt mit ihr Bach!

poesie.exe von Fabian Navarro

Fabian Navarro (Hg.): poesie.exe.

Mit Texten von Jörg Piringer, Berit Glanz, Ken Merten, Saša Stanišic, Hannes Bajohr, Gregor Weichbrodt, Julia Nakotte, Lukas Diestel, Elias Hirschl, Oliver Schürer, Florian Schlederer, Nicolas M. Godoy, Christoph Hubatschke, Miedya Mahmod, Fabian Neidhardt, Fabian Navarro, Selina Seemann, Nina Sinsel, Frank Sorge.

120 Seiten.

Satyr.

Webseite zum Buch

Zum Buch: Klappenbrosschur · Klebebindung

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