Salzhunger von Matthias Gnehm
Nick Lüthi
Die zehnte Graphic Novel von Matthias Gnehm startet mit den Bildern einer Explosion, startet mit einer Welt, die sich selbst ausbeutet und sich um Rohstoffe bekriegt. Wieder und wieder schaut sich Arno Beder diese Bilder an, seit einiger Zeit arbeitet er an einem Dokumentarfilm zum Thema. Beder steht als Hauptfigur im starken Kontrast zu diesen Bildern, niedergeschlagen und lethargisch schlurft er durch die Tage, bis er sich eines Tages ein Herz fasst und bei einer Umweltorganisation anheuert. Dieser Job verschlägt ihn nach Lagos, wo er zusammen mit lokalen Mitstreitern den Aktivitäten eines Rohstoffunternehmens auf die Schliche zu kommen versucht.
In berauschenden Bildern, gemalt mit Kreide und Bleistift, fängt Gnehm die Szenen dieser Reise nach Lagos ein. Lässt die Figuren durch entsättigte Landschaften wandern und zeigt mit überzeichneten Schatten die wahren Intentionen an, die sich in den Köpfen der Figuren verstecken. Beders blutunterlaufene Augen treffen dabei auf die feinen, hellen Züge der Fadenzieher. Man merkt den Zeichnungen an, dass Gnehm selbst Nachforschungen vor Ort betrieben hat, sie fangen die unruhige Atmosphäre des Fortschritts, gepaart mit einer ziemlichen Rücksichtslosigkeit für die Umwelt, beeindruckend und authentisch ein. Und überzeugen auch durch ihren Detailreichtum.
Zudem erzählt Salzhunger eine packende Geschichte um Firmen, Aktivisten und unsere Rolle in einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt. Leider verliert sich diese Geschichte zum Ende hin etwas und verläuft in einem “Whodunit”. Dies ist auch der Hauptfigur Arno Beder geschuldet. Als treibende Kraft ist er eigentlich zu lethargisch und man nimmt ihm die Motive für die eigenen Handlungen nicht immer ab. Glücklicherweise wird der Plot aber durch die ansonsten komplexe Charakterzeichnung wieder aufgefangen. Lange denkt man, die Guten und die Bösen der Geschichte zu kennen. Beder und seine Mitstreiter stehen auf einer Seite, Handlanger, Angestellte des Rohstoffunternehmens und Inhaber von öffentlichen Ämtern auf der anderen Seite. Wie die Geschichte fortschreitet, so verschwimmt auch die Linie zwischen den beiden Seiten.
Wie es sich für die Edition Moderne gehört, wurden bei der Ausstattung keine Mühen gescheut. Mit einem schwarzen Buchschnitt, geprägtem Cover und schwerem Papier. Besonders die von Gnehm eher sparsam eingesetzten Farben kommen im Buch ganz besonders zur Geltung. Und so holt man sich eben nicht nur eine schöne Graphic Novel nach Hause, sondern ein ausgestaltetes Kunstwerk.
Matthias Gnehm gelingt es mit Salzhunger, ein komplexes Muster an Figuren und Handlungsorten zu verweben und in eine spannende Geschichte zu verpacken. Besonders überzeugen dabei die Zeichnungen, die mit ihrer Detailtreue und Akribie beeindrucken. Komplexe Charaktere bewegen sich durch eine undurchdringliche Welt. Am Ende weiss man bei Salzhunger nicht so recht, wer jetzt da gewonnen oder verloren hat. Wahrscheinlich, weil es in diesem Spiel keine wirklichen Gewinner gibt. Denn natürlich, die Graphic Novel ist auch ein Zeitkommentar. Ein vielfältiger und beherzter.
Zum Buch: Broschur (geprägt) · farbiger Buchschnitt (schwarz) · Klebebindung
Mehr über die Bücher der Edition Moderne:
Die 1981 entstandene Edition Moderne ist der einzige Comicverlag der Deutschschweiz. In Zürich werden jährlich etwa 12 Bücher produziert, viele davon sind Erstveröffentlichungen von jungen deutschsprachigen Zeichner*innen.
Das Verlegerinnenteam um Claudio Barandun und Julia Marti war zu Gast im BookGazette Podcast. Nachzuhören hier:
Alle Bücher der Edition Moderne
We are a sloth of bears.
Thanks for reading us.