Liebevolle Figuren, seltsamer Rhythmus – Sinka Mensch von Anna Kordsaia-Samadaschwili
Übersetzt aus dem Georgischen von Sybilla Heinze.
Nick Lüthi
In einer Fabel mit viel Herz für ihre Figuren, vermischt Anna Kordsaia-Samadaschwili Gelebtes und Geträumtes zu einem Roman, dem trotz vieler Ideen, oder gerade deswegen, irgendwann das erzählerische Feuer ausgeht.
Aleksei Mensch ist Waisenkind und Akkordeonspieler und musste in seinem Leben bereits vieles durchmachen. Gemeinsam mit den ebenso vom Leben gezeichneten Freunden Data und Kotiko, bildet er das Trio der Schönlinge. Wohnhaft ist er am Tbilisser Revolutionärsplatz, wo er durch Zufall und Wittwertum (eine lange Geschichte) zu einer Wohnung gekommen ist. Spätestens als eines Tages ein junges Mädchen mit einem noch jüngeren Mädchen namens Sinka auftaucht, welche die Enkelin von Aleksei sein soll, ist das Figurenkabinett aus schrulligen und liebenswerten Aussenseitern vollständig besetzt. Die kleine Sinka lebt fortan bei ihrem Opa, der spielt weiter auf seiner Raviata und verdreht zusammen mit den Schönlingen so manches Herz. Und auch wenn sonst nichts passiert, am Revolutionnärsplatz gibts immer was zu berichten.
Wie in diesem Roman erzählt und wie der Erzähler mit seinen Stoffen umgehen wird, ist bereits nach dem (oben zitierten) ersten Satz klar. Die Verbindung zur Wahrheit ist ungezwungener Natur, was tatsächlich geschehen ist und was nicht, scheint nicht wirklich wichtig. Die Figuren fabulieren wild vor sich hin und die Erzählstimme steht dem in Nichts nach. Das ist stellenweise ganz amüsant und gerade zu Beginn, als sich die drei Schönlinge kennenlernen und einander von vergangenen Grosstaten berichten, witzig und unterhaltsam. In der Folge ist es aber der ganzen Ungewissheit und Fabuliererei zu viel, so hatte ich beim Lesen oft kaum mehr einen Überblick, was nun wahrhaftig geschieht, was erlogen und was zwar nicht ganz, aber immerhin nahe, an der Wahrheit ist.
Übersetzerin Sybilla Heinze stand zweifelsohne vor einer schwierigen Aufgabe, deren Umsetzung leider nur zu Teilen geglückt ist. Einerseits sind da die vielen georgischen Eigennamen, die fürs deutsche Ohr und Auge ungewöhnlich klingen und aussehen und da es geradezu von Figuren wimmelt, die Sätze oftmals schwer verständlich und umständlich erscheinen lassen. Andererseits ist da die Sprache, die nie recht in einen Rhythmus finden mag. Das ist sicherlich auch der Eigennamen geschuldet, aber auch ansonsten wechselt die Sprache zwischen jugendlich angepasst (“Scheiß drauf!”) zu altertümlich (“krätzig”) wild hin und her (auch bei der Sprache einzelner Figuren) und verkommt dadurch zu einem Mischmasch, das die wenigen poetisch gelungenen Passagen unerkannt verklingen lässt. Inwiefern dies eine detailgetreue Widerspiegelung des georgischen Originals ist oder ein Problem der Übersetzung, kann ich durch fehlende Kenntnis des Originals und dessen Sprache nicht beurteilen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sinka-Mensch in seiner deutschen Übersetzung schwer verständlich und schwer zu lesen ist. Dieses sprachliche Problem verknüpft sich mit der Märchenhaftigkeit der Erzählung, dadurch dass weder sprachlich noch inhaltlich ein Rhythmus vorgegeben wird, laufen die eigentlich gelungenen Erzählversuche, das Fabulieren, Überhöhen, Verzerren und Unzuverlässige zwangsläufig ins Leere.
Anna Kordsaia-Samadaschwili beschwört in Sinka-Mensch ein liebevolles Figurenkabinett, dem man gern beim Leiden, Fabulieren, Lieben und Leben über die Schultern blicken würde. Dazu müsste der Roman eigentlich von seinen Figuren, ihren Erzählungen und seiner Sprache leben, denn der inhaltliche Werdegang steht sicherlich nicht im Vordergrund. Müsste. Durch eine in der deutschen Übersetzung arhythmische, schwer verständliche und vermischmaschte Sprache, erfüllten sich diese Erwartungen aber leider nie. Und so verbleibt ein Roman voller Ideen, liebenswerter Figuren und viel Potenzial, dass sich hier nicht so recht ausspielen will.
Anna Kordsaia-Samadaschwili: Sinka Mensch.
Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze.
Originalveröffentlichung 2019.
192 Seiten.
Frankfurter Verlagsanstalt.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Schutzumschlag · farbiger Einband (Karton, gerillt) · Klebebindung
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