Keine Trolle, nur Rentner und Ver-rückte – Über das Werk von Tove Jansson
Übersetzt aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
Nick Lüthi
Tove Jansson ist eigentlich keine Unbekannte. Ihre berühmteste Schöpfung, die Mumins, haben ihr zu weltweiter Bekanntheit verholfen. Dass Jansson aber auch ein reichhaltiges Werk ausserhalb des Mumin-Universums hinterlassen hat, ging durch den Erfolg der Trolle gerade im deutschen Sprachraum ein wenig vergessen. Ob dies zu Unrecht geschah, kann nur ein Blick in die Bücher der Autorin zeigen.
Die besagten Mumins, die auf Deutsch im Reprodukt Verlag erscheinen, haben Tove Jansson (1914–2001) schon früh einem internationalen Publikum bekannt gemacht, haben ihr aber auch den Ruf einer Kinderbuchautorin eingetragen. Das war für die Rezeption ihrer an ein erwachsenes Publikum ausgerichteten Werke natürlich wenig förderlich - was sich schon alleine dadurch zeigt, dass ihre deutschsprachige Wikipedia-Seite nur Mumin Bücher listet. Romane und Erzählungen, die nicht zum Mumin-Universum gehören, werden gar nicht erst erwähnt. Dieser Teil ihres Werks erscheint auf Deutsch im Verlag Urachhaus, wo mittlerweile 6 Bände verfügbar sind, allesamt von Birgitta Kicherer aus dem Schwedischen übersetzt.
Aufgewachsen in einem Künstlerhaushalt, ist Jansson zeitlebens beides geblieben, Künstlerin und Autorin. Als Autorin hatte sie ihren ersten Erfolg 1945, als das erste Kinderbuch aus dem Mumin Universum veröffentlicht wurde. Dementsprechend waren die nächsten Jahrzehnte von weiteren Mumin-Werken geprägt und erst 1968, also mehr als zwei Dekaden später, sollte das erste Buch Janssons erscheinen, das nicht dem Mumin Universum zugehörig war. Überhaupt lässt sich ihr literarisches Schaffen zweiteilen, in ein Frühwerk, das komplett den Mumins galt, und in ein Spätwerk ab 1968, mit sechs Romanen und fünf Erzählbänden, in dem Überschneidungen mit den Mumins nur noch äusserst spärlich vorzufinden sind. Der Erzählband Das Puppenhaus und der Roman Stadt der Sonne aus der frühen Schaffensphase ihres Spätwerks, sollen hier nun als exemplarische Einblicke dienen, um das vielfältige Werk von Jansson etwas genauer zu beleuchten.
Die Schaukelstühle stehen sauber angeordnet und gereiht nebeneinander auf den Veranden in St. Petersburg. Auf ihnen niedergelassen haben sich Rentner, die im Küstenstädtchen ihren letzten Lebensabschnitt verbringen wollen. Die Sonne scheint an den meisten Tagen, kalt wird es eigentlich nie und die Krankenwagen sind ohne Martinshorn unterwegs. Passieren tut an so einem Ort nicht viel, die Tage im Städtchen gehen genauso ereignislos vorbei, wie die Lebenszeit seiner Bewohner ausläuft.
Tove Jansson braucht nur wenige Seiten, um die Atmosphäre von St. Petersburg heraufzubeschwören. Innerhalb dieser zeichnet sie ein interessantes Bild der Stadtbewohner, die alle eigentlich nur noch im Schaukelstuhl sitzen wollen, diesen aber nur äusserst selten tatsächlich zum Schaukeln verwenden. Das Leben ist gleichförmig und so schaukelt eben auch der dafür vorgesehene Stuhl äusserst selten. Leider überträgt sich die Gleichförmigkeit dieser Leben auf den Roman. Jansson gelingt es zwar, ein sehr atmosphärisches Bild einer amerikanischen Kleinstadt zu zeichnen, gleichzeitig gelingt es ihr aber nicht, aus diesem Stoff einen interessanten Roman zu machen.
Denn genauso wie die Leben der Bewohner vor sich hin plätschern, plätschert auch Stadt der Sonne vor sich hin. Es gibt zwar durchaus Konstrukte und Versuche im Roman, Spannung zu erzeugen, in Summe sind diese aber zu wenig stichhaltig, um das angestrebte Ziel wirklich zu erreichen. Fehlende Spannung oder Handlungsdichte sind für einen Roman grundsätzlich noch keine K.O. Kriterien, leider enttäuscht der Roman aber auch auf sprachlicher Ebene. Die Erzählweise ist zu geradlinig, zu unprätentiös und zu unspektakulär, um die fehlende Handlungsebenen auszugleichen. Das ist insofern erstaunlich, als der Erzählband Das Puppenhaus viel mehr erzählerische Finesse und Gestaltungsfreude aufzuweisen weiss.
Die Geschichten des Puppenhauses sind seltsame Gebilde. Realistisch in Stil und Welt der Erzählungen trotzdem getragen von einer seltsamen Verstimmung. Ständig schleichen sie an der Grenze der Absurdität umher, liegen oft nur einen halben Ton neben der Realität und wirken gerade dadurch so sonderbar. Dabei werden Bildhauer in Zeitungen kritisiert, so stark, dass auch die Freundschaft zu einem Affen keine Linderung bringt, der Bau eines Puppenhauses wird zur Belastungsprobe einer Beziehung, ein Tanzabend taumelt sanft vor sich her oder drei finnische Auswanderinnen versuchen, sich im fernen Amerika über Wasser zu halten.
Jansson gelingt es mit diesen Erzählungen eindrücklich, Banales, ja, beinahe Belangloses so zu erzählen, dass man sich die ganze Zeit fragen muss, wo der Abgrund dieser Geschichten lauert und was es dabei noch zu entdecken geben wird. Die einfach gehaltene Sprache versteckt ganz gezielt diese Abgründe und lässt sie nur ab und an durchschimmern. Jansson konstruiert eine Realität, die dem besagten Puppenhaus gleicht. Alles wirkt verkleinert, verdichtet und konstruiert. Die Sprachfetzen sind stilisiert, die Gefühle wirken wie von Aussen draufgeklatscht. Nichts scheint wirklich echt. Dieses seltsame Phänomen, dass sich in jeder einzelnen Erzählung wiederfinden lässt, kulminiert in der titelgebenden Erzählung, wo das Puppenhaus zugleich Metapher, wie auch tatsächliches Objekt wird und dabei mehr Konflikte erzeugt, als dass es sie löst.
Während Stadt der Sonne noch kaum einen Schaukelstuhl in Bewegung zu versetzen weiss, zeigt Das Puppenhaus eindrücklich auf, wie vibrierend, verschroben und abgründig Tove Jansson zu schreiben wusste. Die Übersetzung von Birgitta Kicherer besticht in beiden Bänden durch eine schnörkellose sprachliche Klarheit und schlichte Eleganz, reflektiert zudem auch die Entstehungszeit der beiden Bände, indem Vokabular und Umgangssprache bewusst daran angepasst wurden. Es kommt kaum ein Zweifel auf, Tove Jansson hat ein reichhaltiges Werk ausserhalb des Mumin-Universums hinterlassen. Auch wenn nicht jedes ihrer elf Bücher ein ganz grosser Wurf sein mag, es gibt hier eine Autorin auf der Höhe ihrer Schaffenskraft zu entdecken und bestaunen.
Tove Jansson: Das Puppenhaus.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer.
Originalveröffentlichung 1978.
194 Seiten.
Urachhaus.
Webseite zum Buch Zum Buch:
bedruckter Schutzumschlag · farbiger Einband (Karton, gerillt) · Klebebindung
Tove Jansson: Stadt der Sonne.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer.
Originalveröffentlichung 1974.
210 Seiten.
Urachhaus.
Website zum Buch Zum Buch:
bedruckter Schutzumschlag · farbiger Einband (Karton, gerillt) · Klebebindung
Zum Verlag:
Der Verlag Urachhaus hat eine bewegte Geschichte. Entstanden 1925 unter dem Namen Verlag der Christengemeinschaft, musste der Verlag 1936 den Namen ändern und wurde während des zweiten Weltkriegs mit einem Publikationsverbot belegt. Verlegt werden Literatur, Kinder- und Jugendbücher, Ratgeber und religiöse und anthroposophische Schriften.
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