Vögel der Nacht von Katharina Günther-Keßler und Mehrdad Zaeri
Nick Lüthi
In 8 Prosastücken und Gedichten, erzählt Katharina Günther-Keßler von den Bordsteinschwalben, den komischen Käuzen, den Rabenmüttern, den Spassvögeln, kurzum, sie erzählt von den Gestalten, die die Nächte der Grossstädte bevölkern. Umrahmt und befeuert werden diese 8 Geschichten von Illustrationen Mehrdad Zaeris.
Die Vögel dieser Geschichten sind allesamt nachtaktiv, trauen sich erst nach Eintreten der Dunkelheit nach draussen. Sind sie aber einmal freigelassen, so wüten sie ihrer Freiheit entgegen. Die Autorin spielt dabei den ganzen Band über mit den Vogelmetaphern, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch niedergelassen haben, von der Bordsteinschwalbe bis zum Zugvogel, sie tauchen hier alle einmal auf. Stellenweise mündet das Spiel mit diesen Metaphern in pointierten Kurzerzählungen, gerade die längeren Erzählungen, verarbeiten aber auch tiefschürfendes.
Im ersten Satz der längsten und eindrücklichsten Erzählung “Die Rabenmutter”, wird bereits darauf angespielt, mit welchen sprachlichen Mitteln die Autorin hantiert. Sie versteht es, mit diesen geschickt Fährten zu legen. Es wird in diesem Satz nicht nur das Ende bereits angedeutet, auch das Setting der Erzählung wird unmissverständlich klar. Nämlich durch den Kontrast der kinderzimmrig anmutenden “Glitzerflöckchen” am “nachtblauen Betthimmel” und deren “totäugigem Bedauern”.
Die Wortwahl von Günther-Keßler ist oft überraschend, gerade auch der Sperrigkeit der Worte wegen. Worte wie “totäugig”, “Verschüttgegangenes” oder “federluftig” lassen einen beim ersten Lesen stolpern und eröffnen die den Worten zugrundeliegende Bedeutung nicht sofort. In “Vögel der Nacht” gehört dies ganz bewusst zum Erzählprogramm der Autorin, welches sie ausführlich in den Prosastücken ausspielt. Besonders gefallen haben mir auch die Metaphernvielfalt und das bewusste Fährtenlegen. Immer wieder wurde ich überrascht, weil etwa dem Spassvogel das Lachen im Halse stecken bleibt. Günther-Keßler nutzt die zahlreichen Redewendungen und geflügelten Worte rund um Vögel, um uns in die Irre zu führen, streut ganz bewusst Brechungen in die übliche Gebrauchsweise hinein.
Wie in einem Bilderbuch üblich, funktionieren die Geschichten auf zwei Ebenen, derjenigen des Textes und derjenigen des Bildes. Idealerweise stehen diese beiden Ebenen in einem Dialog, der zu einer wechselseitigen Befeuerung und Erweiterung führt. Zaeris Illustrationen sind hier nie nur blosses Wiedergeben des Textes in Bildform, die Illustrationen nehmen dem Text nie etwas weg, sie fügen immer hinzu. So sitzt etwa der komische Kauz in einer Schneekugel, die Metaphern und Sprachbilder des Textes werden damit erweitert. Weitere Bilder entstehen im Kopf des Lesers durch den Dialog von Bild und Text. Abgesehen von dieser Dialogfunktion sind die Illustrationen schlicht berauschend. In sparsamen, dunklen Farben, unterstützen die Illustrationen die Stimmungen der Texte. Spätestens wenn man zur ersten Illustration strauchelt, möchte man die Fensterläden schliessen, das Licht löschen und ganz in den Nächten dieses Buches versinken.
Gestalterisch überzeugt dieses Buch in höchsten Massen. Geprägter Leineneinband, fadengeheftet, bedrucktes Vorsatzpapier, schweres, schönes Papier. Da wurde kein Detail dem Zufall überlassen. Und dann wird erst noch eine besondere Schrift verwendet: Fira Sans. Fira Sans ist eine von Mozilla (die Stiftung hinter dem Firefox-Browser) entwickelte, komplett offene Schrift, die ein wunderbares Schriftbild hergibt. Dem Kunstanstifter Verlag ist es hoch anzurechnen, all diese nicht nur zu tun, sondern sie auch zu vermerken. Vom Lektorat (Nele Sell) über das Papier (Lessebo Design white) und die Druckerei (Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen) wird hier alles fein säuberlich aufgeführt. Man merkt dem Buch diese gestalterische Sorgfalt einfach an. Wenn ich dieses Buch in der Hand halte, kann ich die Umsicht und das Herzblut, die in dieses Buch geflossen sind, regelrecht spüren.
“Vögel der Nacht” ist sehr atmosphärisch. Ohne Zweifel landet man sofort in der Nacht und begibt sich auf eine ornithologische Spurensuche in der Dunkelheit. Ich bin schwer angetan von diesem Band. Das ist sperrig, deutungsreich, vielfältig, spielerisch, mutig, toll illustriert, wunderbar gestaltet. Ich will mehr davon!
Katharina Günther-Keßler, Mehrdad Zaeri: Vögel der Nacht. Acht absonderliche Nachtgeschichten.
Buchgestaltung von Yi Meng Wu.
52 Seiten.
Kunstanstifter.
Webseite zum Buch Mehr über die Bücher der Kunstanstifter Verlag:
Der 2006 gegründete und in Mannheim ansässige Kunstanstifter Verlag macht Bilderbücher für Erwachsene und Kinder. Im Zentrum steht dabei immer auch die Qualität der Illustration.
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