Die Geschichte des kommerziellen Walfangs – Von Walen und Menschen von Andreas Tjernshaugen
Übersetzt aus dem Norwegischen von Martin Bayer
Nick Lüthi
Wenn schon der Titel sagt, das Buch handle «Von Walen und Menschen», dann ist relativ schnell klar, worum es gehen muss. Denn ein Freund war der Mensch den Walen selten. Sehr gründlich recherchiert und etwas verzettelt erzählt, berichtet Andreas Tjernshaugen in diesem Sachbuch über die Geschichte des Walfangs.
Wobei man das noch etwas präzisieren muss, Tjernshaugen erzählt die Wirtschaftsgeschichte des norwegischen Industriesektors Walfang. Da der Walfang aber in Norwegen kommerzialisiert wurde und von da aus professionell betrieben, sind zumindest in den Anfangsjahren die Geschichte des Walfangs und diejenigen des norwegischen Walfangs deckungsgleich.
Die «Helden» dieses Buches tragen kantige Namen wie Svend Foyn oder Heinrich Jeannot Otto Graf Keyserling und beschäftigen sich mit Problemen wie, wie man möglichst effektiv Harpunen bauen kann, die im Inneren der Wale eine Sprengladung freisetzen, wie man Walspeck gleich auf offener See verarbeiten kann oder wie man einen Blauwal möglichst gut flensen (so nennt man das Abtrennen der Speckschicht, die danach zu Tran verkocht wird) kann. Irgendwann merken auch diese «Helden», dass die Wale weniger werden, so ziehen sie weiter, von der norwegischen Küste an die isländische, zu den Färören oder nach Südgeorgien. Irgendwo finden sich immer Wale, die man jagen kann. Die Akademiker begleiten die Walfänger auf ihren Schiffen, die Politiker schauen einem Wirtschaftszweig beim Wachsen zu. Es gibt zwar bereits 1902 erste Bestrebungen, den Walfang auf ein bestimmtes Kontingent zu beschränken, bis diese aber zum Tragen kommen, müssen noch viele Wale und Jahre vergehen.
Andreas Tjernshaugen ist es gelungen, ein vielschichtiges, komplexes und weitverzweigtes Thema, in spannende, packende Episoden zu verarbeiten. Man merkt dem Buch auf jeder Seite an, dass die Recherche ausgesprochen gründlich gewesen ist. Leider aber selten im positiven Sinne. Vielfach wirken die Sätze überfrachtet, sind mit Informationen zugepackt und es ging dabei vergessen, dass mehr nicht immer mehr ist. Wenn Beispielsweise im ersten Abschnitt eines Kapitels der Steuermann namentlich erwähnt wird, in der Folge aber nie wieder auftaucht, wird man schlicht mit Information zugeballert, die für den weiteren Verlauf des Buches nicht wichtig ist. Das gestaltet die Orientierung für Leser*innen doch eher schwierig.
Dieses Orientierungsproblem wird durch die episodenhafte Erzählweise verstärkt. Jedes Kapitel erzählt eine eigene Geschichte, die in sich mehr oder weniger abgeschlossen ist, die darauffolgenden Kapitel basieren nur lose darauf. Das hat zwei Konsequenzen. Erstens, fehlt dem Buch damit ein zusammenhängendes Narrativ. Das mag sein, weil es dieses Narrativ für den Walfang als Akt menschlichen Tuns gar nicht gibt, durch die episodische Struktur wird dies aber umso bewusster hervorgehoben. Zweitens aber, muss aufgrund der episodischen Erzählart ständig mit Rück- und Vorgriffen gearbeitet werden. In Halbsätzen wird dann kurz erklärt, was mit den jeweiligen Protagonisten noch passieren wird oder bereits passiert ist. Später ist es aber gut möglich, dass der bereits vorgegriffene Teil auch noch einmal ausführlicher erzählt wird. Als Leser*in ist man so ständig gezwungen, hin und herzuspringen und bleibt am Ende ohne rechte Orientierung zurück. Wie sehr das auch ein Problem der Übersetzung ist, die oft mit verschachtelten und komplexen Konstruktionen zu überraschen weiss, lässt sich ohne Kenntnis des Originals nicht abschliessend beurteilen.
Von Walen und Menschen ist ein Buch, das zu viel will. Es will kein Sachbuch sein, sondern mit spannenden Storys unterhalten. Da es aber natürlich ein Sachbuch ist, werden gleichzeitig zu viel Information und für die einzelnen Episoden schlussendlich unwesentliche Details eingepackt und miterzählt. Dadurch hat das Buch bereits eine Komplexität, die die Leser*in oftmals im Stich lässt. Es ist zwar ein äusserst gründlich recherchiertes Buch und bietet spannende Einblicke in die Wirtschaftsgeschichte des Walfangs, aber der angestrebte Spagat zwischen Unterhaltung und Informationsvermittlung, gelingt schlussendlich nicht.
Andreas Tjernshaugen: Von Walen und Menschen.
Aus dem Norwegischen (Bokmål) von Martin Bayer.
Originalveröffentlichung 2018.
256 Seiten + 16 Seiten mit Abbildungen.
Residenz Verlag.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · farbiges Vorsatzpapier (blau) · Mittelblock mit 16 Seiten auf Fotopapier und zahlreichen Abbildungen · Klebebindung
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