Die Philosophie des Wunders – Wunder von Wsewolod Petrow
Übersetzt aus dem Russischen von Daniel Jurjew
Nick Lüthi
Im Erzählband Wunder sind neu entdeckte Erzählungen aus dem Nachlass des russischen Kunsthistorikers Wsewolod Petrow (1912-1978) versammelt. Es sind dies einerseits 19 sehr kurze, von Petrow unter dem Titel Philosophische Erzählungen gesammelte, sowie zwei weitere, etwas längere, Erzählungen. Petrows Erzählungen waren zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht worden. Sie wurden von Petrow nie einem Verlag vorgelegt, da von vornerein klar war, dass die Erzählungen alleine aufgrund ihres Inhaltes kaum Veröffentlichungschancen gehabt hätten während der Sowjetzeit. Auf Deutsch sind die Erzählungen nun zum ersten Mal verfügbar, während sie auf Russisch erstmals 2017 veröffentlicht wurden.
Als Trygin von einer wachsenden Gurke in die Seite gestossen wird, merkt er, dass der Stern über ihm genauso zusammengezuckt ist wie er, wie ihn die Gurke in die Seite stiess. Trygin wird vom Stern verfolgt, die wachsenden Gurken schubsen ihn aus dem Beet und schlussendlich weiss Trygin nicht mehr, wer er ist, Stern oder Trygin. Der Gärtner, der das Beet am nächsten Morgen aufsucht, findet nur noch einen seltsamen Schleim auf den über Nacht immens gewachsenen Gurken.
Für diese Achterbahnfahrt der Absurdität braucht Petrow keine 4 Seiten. Die philosophischen Erzählungen funktionieren dabei alle ähnlich wie die Geschichte Trygins, aus absurden Ausgangslagen ergeben sich meist mindest genauso, wenn nicht noch absurdere, Enden. Seien es nun Freunde, die wegen Seitenstechen falsch abbiegen und sich dann mit Gurt und Fuss traktieren oder die Frau des Schriftstellers, die so verrückt wird, dass schlussendlich auch der Schriftsteller verrückt werden muss. Petrows Erzählungen nehmen das Abwegige auf und verfolgen fortan schnurgerade dessen Spur. Bilden sich ein Nest in der Absurdität und suhlen sich in der Folge darin.
Die Erzählungen von Petrow aber nur als Absurditäten abtun zu wollen, wird ihnen nicht gerecht. In der Absurdität stellen sich immer auch die tiefergehenden, die titelgebenden philosophischen Fragen. Die Seinszusammenhänge der Welt werden dabei ebenso infrage gestellt wie die soziale Ordnung oder die Aufrichtigkeit der eigenen Wahrnehmung.
Wie dies oft geschieht, bedient sich auch bei Petrow das Absurde beim Phantastischen. Werden doch Gesetze der Natur ausgehebelt oder zumindest aus der Erzählperspektive der Geschichte infrage gestellt. Dabei beweist sich Petrow als ein Vertreter des geerdeten Phantastischen, wie dies etwa auch bei Michail Bulgakow (Rezension von Das hündische Herz) oder Stanisław Lem der Fall war. Die Naturgesetze treten zwar ausser Kraft, dies geschieht aber nur in einer scheinbar logischen Stringenz der Ereignisse, Magie braucht es dazu nicht.
Ganz im Sinne dieser Verknüpfung mit dem Phantastischen taucht das Wunder in den Erzählungen immer wieder auf. Wie Daniel Jurjew im Nachwort korrekterweise ausführt, taucht das Wunder besonders häufig in Form der Schönheit in den Erzählungen wieder auf. Nachwortschreiber Jurjew zeichnet auch verantwortlich für die Übersetzung und Auswahl der vorliegenden Erzählungen. In der Übersetzung gelingt es Jurjew, den hintersinnigen Humor und den zwischen “Realität und Phantastik [oszillierenden]” Geist der Originale einzufangen.
Wer dem Absurden nicht abgeneigt ist, der wird in diesem schönen Band und in Wsewolod Petrow ein gefundenes Fressen finden.
Wsewolod Petrow: Wunder.
Aus dem Russischen von Daniel Jurjew.
Mit einem Nachwort von Daniel Jurjew.
Reihe: Wolffs Broschur.
120 Seiten.
Friedenauer Presse.
Webseite zum BuchZum Buch: Englische Broschur · fadengeheftet
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