Abstufung dreier Nuancen von Grau von Kristiane Kondrat
Nick Lüthi
In Kristiane Kondrats Roman strauchelt eine namenlose Ich-Erzählerin durch die verschiedenen Graumelierungen des Lebens. Die junge Frau fühlt sich verfolgt. Wenn sie nach Hause kommt, scheinen die Blätter auf ihrem Schreibtisch an anderer Stelle zu liegen, merkwürdige Gestalten bedienen sich der gleichen Tramhaltestellen wie sie. Sie wacht auf in einem Spital, unter schneweissen Decken, ist aber nicht freiwillig dort, als Leser*in erfährt man aber nie genau, weshalb sie nun in diesem Spital gelandet ist. Schlussendlich kann sie aus dem Spital fliehen und ihre weitere Flucht, weg von dieser Stadt und diesem Land, planen.
Einen treffenderen Buchtitel als Abstufung dreier Nuancen von Grau hätte man sich für diesen Roman nicht denken können. Überall reagieren die Zwischentöne, die sich in ein melierendes Miteinander verweben. Erinnerung, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind allesamt gleich gegenwärtig in der Logik des Romanes und gehen fliessend ineinander über. Die Handlung folgt dieser Logik, indem es sie nicht wirklich gibt. Die Handlung tritt als Masse wabernder Atmosphären in Erscheinung, wird zu einem Teppich und entlässt schlussendlich die Leser*in mit so etwas wie einem Gesamtatmosphärenbogen, möchte man diesem Atmosphärenkonstrukt denn einen Namen geben.
Die Grautöne werden nicht nur in der Handlung, sondern auch sprachlich eingefangen. Strahlendes Weiss steht immer wieder im Kontrast zu der düsteren Realität des Buches. Damit die feinen Kontraste und Zwischentöne nicht zu einem Mischmasch werden, arbeitet Kristiane Kondrat mit äusserst präziser Sprache, die das eine Grau vom anderen Grau abzuheben weiss. Ihr Roman überzeugt somit auch nicht auf Handlungsebene, sondern als atmosphärisch-sprachliches Gesamtwerk, welches einem beim Lesen in konstanter Unruhe lässt und die beklemmende Situation der Verfolgung und Flucht in seinem ganzen Ausmass einfängt.
Alleine mit dieser rein textbasierten Betrachtungsweise überzeugt Kondrats Werk. Der Roman hat aber noch eine zweite, zeitgeschichtliche Dimension. Kondrat schreibt unter Pseudonym, sie ist gebürtige Rumänin, wuchs dort als Teil der deutschsprachigen Minderheit auf, lebt aber seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland. Der Roman ist sogenannte “Schubladenliteratur”, durfte in Rumänien also nicht veröffentlicht werden, und hat unter anderem eingenäht in einen Mantel die deutsche Grenze passiert. Entstanden ist das Werk bereits in den 1970er Jahren, erstmals veröffentlicht wurde es aber erst 1997. Unter diesen Gesichtspunkten erhalten die zentralen Motive um Flucht und Verfolgung natürlich eine zweite, weitaus akutere Ausdehnung. Diese zweite Dimension wird auch im Nachwort von der Literaturwissenschaftlerin Christina Rossi weiter beleuchtet und thematisiert.
Gestalterisch wurde der Titel vom Verlag danubebooks sehr geschickt umgesetzt. Grau und Weisstöne geben den Ton an, sei es nun das weisse Cover, der weisse Einband oder der graue Vorsatz, die Atmosphäre des Buches wird hier noch einmal eingefangen und verstärkt. Über 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung und etliche Jahre mehr nach seiner Entstehung, erhält der Roman nun auch ein Kleid, welches seinem Inhalt und seiner Bedeutung angemessen ist.
In poetischer, ungewöhnlicher Sprache schafft Kristiane Kondrat in Abstufung dreier Nuancen von Grau eine bedrohliche Atmosphäre herbei. In der wabernden Masse dieser Atmosphären finden sich die titelgebenden Grautöne und deren Abstufungen. Ein aussergewöhnliches Buch.
Kristine Kondrat: Abstufung dreier Nuancen von Grau
Originalveröffentlichung 1997.
Mit einem Nachwort von Christina Rossi.
160 Seiten.
danubebooks.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Schutzumschlag · farbiger Einband (Karton, weiss) · farbiges Vorsatzpapier (grau) · fadengeheftet
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Der 2015 in Ulm gegründete Verlag danubebooks hat sich zum Ziel gesetzt, ein grenzenloser Verlag zu sein. Im Sachbuch- und Belletristikprogramm des Verlages spiegeln sich deshalb die Vielfalt der Sprachen, Ethnien und Kulturen der Donauländer.
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