Die Ungerechtigkeit der Welt – Aline von Charles Ferdinand Ramuz
Übersetzt aus dem Französischen von Yvonne und Herbert Meier
Nick Lüthi
Die Geschichte beginnt, wie so viele Geschichten beginnen. Ein Junge trifft ein Mädchen. Julien trifft Aline. Die beiden mögen sich. Aus geflüsterten Zuneigungen erwachsen erste Küsse, im Schatten erwächst noch mehr. Es wird des Nachts aus Häusern geschlichen, Ohrringe wechseln Besitzer und Versprechen werden gemacht. Die siebzehnjährige Aline ist Hals über Kopf in Julien, Sohn des Bürgermeisters, verliebt, erlebt mit ihm ihre erste Liebe und träumt von dem, was noch kommen wird. Kommen wird noch einiges, das wenigste davon wird sich Aline erträumt haben.
Das 1905 erstmals veröffentlichte Meisterwerk von C. F. Ramuz erzählt eine einfache Geschichte, die einer Liebe, die zuerst hell auflodert, nur um dann schnell im Keim zu ersticken und im Sumpf elendig zu versinken. In einfachen und präzisen Worten schildert Ramuz diesen Zerfall. Die Erzählweise ist dermassen präzis, dass man an beliebiger Stell im Werk einsetzen kann um Stimmung und Klangfarbe einzufangen. Beim Limmat Verlag versteht man es aber ganz besonders, die prägnanten Stellen einzufangen. Der hier zitierte Abschnitt steht als Klappentext auf der Rückseite des Buches und fängt die Essenz des Romans in seinem ganzen Ausmass ein.
Der reiche Julien legt sich ins gemachte Nest, geniesst als Sohn reicher Eltern aber Narrenfreiheit. Verantwortung kennt er nicht, Konsequenzen ihrer Liebe gibt es nur für Aline. In klarer und wunderschöner Sprache schildert C. F. Ramuz diese ländliche Tragödie. Mit grosser Empathie lotet Ramuz im Roman ein Unrecht aus, das in seinem weiteren Verlauf immer schlimmer wird und auch nicht mehr gut gemacht werden kann. Die Dorfbewohner sind verankert in ihren Sitten und merken dabei nicht, wie grausam und engstirnig diese sein können.
Übersetzt wurde Aline in der vorliegenden Ausgabe von Yvonne und Herbert Meier, denen es gelungen ist, dem schlichten und eleganten Französisch von Ramuz auch im Deutschen eine passende Entsprechung zu geben. Kurze Sätze und einfache Worte verformen sich zu einem poetischen Ganzen. Genauso wie ein Bergsee seinen kompletten Untergrund freigibt, wird hier in der Sprache das Seelenleben der Figuren frei gesetzt.
Ergänzt wird die Neuübersetzung dieses Schweizer Klassikers mit einem tollen Nachwort von Daniel Magetti, in welchem er die Entstehungsgeschichte von Aline umreisst. Ramuz war sich selbst lange nicht sicher über Aline und ob der Qualität des Romanes. Er hat sich geweigert, den Roman als solchen zu bezeichnen und wiederholt die Geschichte als zu schlicht und simpel abgetan. Wie Magetti aber schön nachzeichnet, ist trotzdem sehr viel Sorgfalt in dieses Debüt geflossen und Ramuz hat das Werk wiederholt überarbeitet und geschliffen. Was dem Endprodukt auch anzumerken ist. Dermassen schlicht und genau zu erzählen, kann nur passieren, wenn diese Sprache bis aufs Äusserste geschliffen wurde.
Die Neuauflage von Aline kommt im bedruckten Leineneinband und handlichem Format. Gestalterisch und haptisch ein absoluter Leckerbissen. Der Limmat Verlag macht mit dieser Ausgabe alles richtig, was es bei Klassikerneuausgaben zu beachten gilt. Eine sehr gute neue Übersetzung, ein informatives und spannendes Nachwort sowie eine schöne Ausgabe. Daneben steht ein Meisterwerk, das vor allem durch seine Schlichtheit besticht. Schlichtheit im Stoff und in der Sprache. Ein Muss.
Charles Ferdinand Ramuz: Aline.
Aus dem Französischen von Yvonne und Herbert Meier.
Mit einem Nachwort von Daniel Maggetti.
160 Seiten.
Limmat.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Leinen) · farbiges Vorsatzpapier (rosa) · Klebebindung
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