Liebe und Berge – Derborence von Charles Ferdinand Ramuz
Übersetzt aus dem Französischen von Hanno Helbling
Nick Lüthi
Ein Berg ist ein Berg. Und wenn er wankt, dann gewaltig. Von nichts anderem als dieser Urgewalt erzählt Charles Ferdinand Ramuz in seinem konzentrierten Roman über einen Bergsturz.
Schriftsteller, die auf Banknoten verewigt wurden, gibt es nicht viele (den Fakt, dass ich davon bis vor ein paar Sekunden gar nichts wusste, verschweigen wir hier jetzt lieber). Aber Charles Ferdinand Ramuz ist einer dieser wenigen. Die damit verbundene Ehre lässt natürlich vermuten, welchen Stellenwert sein Werk zumindest zum Zeitpunkt der Notengestaltung genossen hat. Und ja, jede Begegnung mit seinen Werken bestätigt mir wieder, warum ihm diese Ehre zuteilwurde. Einerseits natürlich, weil er ein grosser Schriftsteller mit grossen Werken war, andererseits aber auch, weil er in seinem Erzählen dem Schweizerischen verbunden geblieben ist. Nicht anders ist das im neu aufgelegten Roman «Derborence».
Es ist Sommer, die Männer aus dem Dorf sind alle auf der Alp und hüten dort das Vieh und stellen Käse her. Zu diesen Männern gehört auch der frisch verheiratete Antoine, der zusammen mit dem alten Séraphin in einer Hütte haust, die direkt in den Berg gehauen wurde. Die Alp hat einen sanften Namen, Derborence. Ein Name, der so gar nicht passen will zu diesem Berg, der den Teufel bereits im Namen trägt: Diablerets. Kein Wunder, stürzt der Berg ein, direkt auf die Männer, direkt auf Derborence. Machtlos muss Antoines Frau Thérése den Bergsturz im Tal miterleben. Ganze zwei Monate wird sie trauern, bis ein Geist im Dorf auftaucht, einer, der Antoine furchtbar ähnlich sieht.
Ramuz erzählt in «Derborence» so, wie er immer erzählt: so verdichtet und konzentriert, als ob es nichts anderes auf der Welt mehr gäbe, als seine Figuren und seine Erzählgegenstände. Sprachlich vielleicht etwas zerfahrener, etwas weniger poetisch, als in seinen allerbesten Werken, aber immer in einer schlicht anmutenden Sprache mit grosser, poetischer Wirkung. Die Motive klingen bereits in den ersten Sätzen an, die Figuren sind wortkarg, gezeichnet vom Leben in den Bergen. Im Kern ist der Roman urschweizerisch, weil er, zumindest im Gefühl, noch heute genau so passieren könnte, genau so niedergeschrieben werden würde. Nur hat die Prosa von Ramuz ganz andere Frische, als diejenige von gewissen zeitgenössischen Autoren, die jedes Jahr ein neues Buch über die Schweizer Berge verfassen.
Seit ein paar Jahren erscheinen die Übersetzungen aus der Gesamtausgabe von Ramuz’ Werk, welche 1972 im Zürcher Ammann Verlag erschien, im Limmat Verlag. Vor «Derborence» etwa «Aline» in der Übersetzung von Yvonne und Herbert Meier. Auch die Derborence-Übersetzung von Hanno Helbling stammt aus dieser Gesamtausgabe. Helbling war ein hervorragender Übersetzer, keine Frage, es zu betonen erscheint mir genauso müssig, wie die literarische Qualität von Ramuz hervorzuheben. Aber, stellenweise merkt man, dass diese Übersetzung nicht mehr ganz taufrisch ist, dass seit der zugrundeliegenden Lektüre ein halbes Jahrhundert vergangen ist. Ramuz’ Stoffe bieten sich diesem Verfahren an, er hat zeitlos erzählt, tief verwurzelt in der Tradition, trotzdem bleibt die Distanz spürbar.
Wenn wir also zurückdenken an die Schweizer 200er Noten und die schwindende Bedeutung dieser oder salopp gesagt: deren Bedeutungslosigkeit, da sie mittlerweile durch eine neue, eine ohne Ramuz, abgelöst wurde, dann würde ich mir für das Werk von C. F. Ramuz wünschen, dass bald neue Übersetzungen seiner Werke erscheinen (hat da jemand Hinrich Schmidt-Henkel oder Frank Heibert gesagt?). Die Übersetzungen der Gesamtausgabe sind gut gealtert, aber einem Autor seiner Grösse würden neue Übersetzungen sehr gut zustehen (auch die 2020 im Arco Verlag erschienene Neuausgabe von «Die Schönheit auf der Erde« stammt aus der Feder von Hanno Helbling). Er und sein Werk hätten es mehr als verdient. In der Zwischenzeit sind die wunderschönen, kompakten Leinenausgaben aus dem Limmat Verlag aber gute Überbrückungsangebote.
Charles Ferdinand Ramuz: Derborence.
Aus dem Französischen von Hanno Helbling.
200 Seiten.
Limmat.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Leinen) · farbiges Vorsatzpapier (mint) · Klebebindung
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