Andere Häfen von Christopher Ecker
Nick Lüthi
Auf gut 240 Seiten sind hier 87 Kurz- bis Kürzesterzählungen versammelt. Das erzählerische Programm, welches Christopher Ecker in diesen Erzählungen vorlegt lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: verschwenderisch und anstrengend. Was vorerst nicht positiv klingt, ist aber durchweg positiv gemeint. Es werden hier Ideen sondergleichen verschwendet, ganze Romanhandlungen und Tragödien griechischen Ausmassen werden auf wenigen Seiten skizziert und durch diktiert. Und die Leser*in muss sich anstrengen, die Erzählungen fordern durchwegs aktive Teilnahme und Überraschungsbereitschaft der Leser*innen. Wer zwei Sätze verpasst, der kommt nicht mehr mit, hier geht es schnell zu und her. Ideen bekommen selten mehr als einen halben Satz zugestanden und Metaebenen, die gibt es hier zuhauf. Damit ist auch gleich klar, was dieser Erzählband nicht ist, einer, den man soeben schnell durchliest. In jeder Geschichte ist so viel verpackt, will man die Gaben begutachten, so ist Geduld und bewusste Auseinandersetzung angebracht.
Dabei ist das alles grotesk, überdreht und abstrus. Selten habe ich einem Autor so stark angemerkt wie hier, wie viel Spass er mit seinen Stoffen hatte. Ich glaube so, wie ich mich beim Lesen gefühlt habe, so muss sich ein Boxer in der Pause zwischen zwei Gängen fühlen. Völlig ausser Atem werden einem verschiedene Dinge ins Gesicht gehalten, Musik dröhnt aus den Lautsprechern, Anweisungen werden zugebrüllt und dann erklingt die Glocke und weiter gehts und bevor man überhaupt auch nur die Hälfte dessen verarbeitet hat, was da gerade auf einen niedergeprasselt ist, steht man wieder vor einem Kontrahenten, der nichts anderes will, als einem ins Gesicht zu schlagen. Ja, ich glaube ziemlich genau so, lesen sich die Erzählungen von Ecker.
Die Erzählungen Eckers hören selten dort auf, wo sie einst begonnen haben. Oder würde man aus dem Anfang der oben zitierten Erzählung Alles zu Capgras vermuten, dass schlussendlich Ektoplasma durchs Arbeitszimmer quellt und der Erzähler uns fragt, ob wir ihm böse sind, weil er “scha-wupp!” geschrieben hat? Zum Erzählprogramm gehört auch die Selbstreferenzialität, die Leser*in wird immer wieder direkt angesprochen und gemeinsam mit dem Erzähler wird die Geschichte weiterentwickelt.
Das Faszinierendste an Eckers Erzählungen ist, dass es kaum möglich ist, einen inhaltlichen Faden auszumachen, der über einzelne Geschichten hinausgeht. Die Geschichten sprudeln von Fantasie und gehen dabei in alle möglichen Himmelsrichtungen. Einzig verbunden durch ihre Kürze und den Autoren. Wie das Gehirn eines einzelnen Menschen dermassen viele und dermassen weit auseinanderliegende Ideen ausspucken kann, es bleibt mir ein Rätsel.
Wie es sich für den Mitteldeutschen Verlag gehört, kommt das Buch in schlichter und hochwertiger Aufmachung daher. Das unaufgeregte Äussere lässt noch überhaupt nicht vermuten, was für ein wilder Wellenritt da noch folgen wird. Christopher Eckers Erzählungen sind anstrengend, verschwenderisch, abstrus, grotesk, überdreht und überraschend. Vor allem sind sie aber ein kaum enden wollender Quell kindlicher Freuden am Erzählen und an der Fantasie. Ums plakativ zu sagen: Das ist ungetrübte Lesefreude in Reinform.
Christopher Ecker: Andere Häfen.
Erschienen 2017.
240 Seiten.
Mitteldeutscher Verlag.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Karton) · fadengeheftet · farbiges Vorsatzpapier (violett)
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Der 1946 gegründete Mitteldeutsche Verlag mit Sitz in Halle, verlegt Belletristik, Sach-, Reise- und Kunstbücher.
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