Alternder Akademiker findet die Kunst am eigenen Leben
Herr Oluf in Hunsum von Christopher Ecker
Nick Lüthi
Du wirst zu Oluf Sattler. Professor für irgendwas. Wichtiger ist weniger die Ausrichtung deiner Disziplin, als der Dünkel des Grossintellektuellen, mit dem du dich umgibst. Gleich auf den ersten paar Seiten sagst du etwas Pseudo-schlaues zu einem Gemälde von Vermeer. Nur wegen des Geldes, um den Geldhahn offenzuhalten, bist du jetzt hier und sprichst an diesem Kongress über das Institut und die Forschung der letzten Jahre.
Gleich mit einem Ausrufezeichen und einem Vorwurf setzt der neueste Roman von Christopher Ecker ein. Den Vorwurf, nicht fahren zu sollen, macht sich Oluf Sattler selbst, Frau und Kind sind krank und trotzdem fährt er weg. Sein Kopf steckt auf der Überholspur fest, Frau und Kind sind längst tot, sind wütend, enttäuscht oder gleichgültig, alles scheint gerade möglich, als er rasant über die Autobahn nach Norddeutschland braust. Auf dem Weg zu diesem dummen Kongress. Dort wird er sich blamieren, mit Unkenntnis ausweisen, weil er die neueste Lingo nicht mehr draufhat. Auf dem Rückweg wird er noch berauschter werden, den Rausch auch tatsächlich erleben, einen Mord bezeugen (als Fluchtfahrer?) und danach wieder heimkehren müssen in die Ungewissheit, die er am helllichten Tag auf der Überholspur der Autobahn zurückgelassen hat.
«Herr Oluf in Hunsum» verliert in keiner Sekunde an Tempo, der einmal geöffnete Slipstream des Professor Sattler lässt sich nicht mehr schliessen. Wer einmal zu Oluf Sattler geworden ist, kommt davon nicht mehr los. In Du-Form erzählt, erleben wir Sattler als von sich selbst entfremdeten Menschen, der in der Überintellektualisierung seines Alltags nach Struktur oder Sinnstiftendem zu suchen scheint. Die Suche gestaltet sich indes schwierig, denn erlösendes in Sattlers Alltag gibt es wenig. Der Geist rast immer und immer nur mit einer Geschwindigkeit: Vollgas (das trotz seiner geistigen Grösse nicht immer nur schlaues bei rauskommt, verheimlichen wir dem Professor lieber).
Spannend ist indessen aber nicht, wie Ecker diesen konstanten erzählerischen Sog aufrechterhält, dass er dies kann, hat er längst zur Genüge bewiesen, sondern mit welchen Mitteln er die Erzählung bestreitet. Der Leseeindruck ist eigentlich ein trüber, tragischer. Sattler hat die klassischen Anzeichen einer Mid-Life-Crisis, fühlt sich (und ist) vom Leben und seiner Profession zu Teilen abgehängt oder eben – entfremdet. Die Zuhausgebliebenen sind nicht nur räumlich und durch Krankheit von ihm separiert, sondern auch in seinem Denken und Erleben. Der Roman ist aber kein (ausschliesslicher) Abgesang auf Sattler und dessen Neugestaltung des eigenen Lebens, er ist genauso durchtränkt von Witz und Ironie.
Zum einen macht sich der Roman furchtbar lustig über die postmoderne Philosophie, die sich durch eine eigene Wissenschaftssprache, natürlich standesgemäss von einem Franzosen entwickelt, auszeichnet. Anleihen an etwaige, tatsächlich existierende Strömungen der Philosophie sind natürlich rein zufällig. Zum anderen wird Protagonist Sattler von uns als Lesende und durch die Perspektive der zweiten Person auch von der Erzählinstanz, nicht ernstgenommen, weil er mindestens ebenso erbärmlich, wie intellektuell brillant ist. Dazwischen ist es aber feiner Humor, der sich abzeichne. Dieser thematisiert zwar den Akademie-Dünkel, tut dies aber fein Ziselierend (ja, das muss genau so gesagt werden).
Der Roman zieht einen Grossteil der von ihm ausgehenden Faszination nicht aus der erzählerischen Dringlichkeit, sondern aus seiner Grundstimmung, die seiner sprachlichen und erzählerischen Extravaganz entgegenläuft. Ecker erzählt stilistisch sehr gekonnt, verliert aber nie die Erzählung, und den damit aufgeworfenen Sog aus dem Blick. Herr Oluf war zwar mal in Hunsum, was er aber da getroffen hat, und wie er wieder aus Hunsum zurückgekommen ist, es ist ein Rätsel, dem der Alltag nicht gewachsen ist. Es ist nicht so einfach, ihm zu entfliehen. Dem Alltag.
Zum Buch: bedruckter Einband (Karton) · farbiges Vorsatzpapier (schwarz) · Lesebändchen (scharz) · fadengeheftet
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Der 1946 gegründete Mitteldeutsche Verlag mit Sitz in Halle, verlegt Belletristik, Sach-, Reise- und Kunstbücher.
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