Die Trauer im sperrigen Gewand – Die Asche des Tages von Máirtín Ó Cadhain

Übersetzt aus dem Irischen von Gabriele Haefs

Heute auf dem Tisch: Ein irischer Klassiker, der mich so gar nicht überzeugen will. Auf ins Gerangel also.

Die Trauer im sperrigen Gewand

Es ist ein sperriger Text, der sich in diesem Roman entfaltet. Erzählt wird darin die Geschichte von N., der gerade seine Frau verloren hat, sich um deren Beerdigung kümmern müsste, es aber einfach nicht schafft, nach Hause zu gehen. Diese Ausgangslage bietet eigentlich viel Spannung für einen Roman: Die Hauptfigur verweigert sich ganz direkt der Realität, in dem sie sich ihren Pflichten nicht stellt, ihnen entschwindet. Das wäre ja eine gute Basis, um N.s Trauer zu thematisieren, ihre Vielgestaltigkeit in die Geschichte zu verweben oder eine Parabel auf Trauer und Erwartungshaltung zu ziehen. An diesem dritten Punkt versucht sich Ó Cadhain halbherzig, im Grunde geht es aber N. nie um die Trauer oder um seine Frau, sondern immer nur darum, das eigene Gesicht zu wahren und den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn, wird also nicht die Verbindung von Trauer und Erwartungshaltung thematisiert, sondern die Erwartungshaltung während man trauern sollte.

Im Roman ist man N. äusserst nachsichtig gestimmt: Ja das ist eben der N., der ist halt ein wenig überfordert, das sollte man ihm aber auch nachsehen, das ist ja auch eine schwierige Situation. Damit ist für mich auch das erste grosse Problem des Romans illustriert: die Geschichte um die Trauer nach N.s Frau wird für einen langweiligen, einen flachen Witz missbraucht. N. weigert sich einfach nach Hause zu gehen. Haha. Wie gesagt, die Idee böte durchaus literarisches Potenzial, von dem sich hier aber wenig finden lässt.

Kommen wir also zum zweiten Problem. Die Sprache. Meine Güte, diese Sprache. Und als wichtige Bemerkung hier vorneweg, wenn ich den Text und damit auch die Übersetzung kritisiere, dann mache ich das als jemand, der das Original, selbst wenn ich denn wollte (einmal ist aber genug), nicht kennt und dementsprechend den Text nur beurteilen kann, wie er im Deutschen daher kommt und nicht, wie und ob die Probleme mit dem deutschen Text der Übertragung wegen passiert sind, oder ob dies Probleme sind, die auch im irischen Original so schon zu finden sind. Übertragen aus dem Irischen hat den Text Gabriele Haefs, die als eine der wenigen Übersetzer*innen aus dem Irischen ins Deutsche übersetzt. (Mehr über die irische Sprache findet sich übrigens in diesem lesenswerten Artikel auf TraLaLit).

Die Sprache des Romans ist behäbig, altertümlich, kompliziert und sperrig. Und das ohne zwingenden Grund. Ein Teil davon sind ganz klar Übersetzungsentscheide, denn um das (auch im Original) bemühte Sprachspiel im obigen Zitat zu verstehen, muss man wissen, dass der Croagh Patrick der höchste irische Berg ist. In einer Übersetzung kann man sich natürlich dazu entscheiden, Eigennamen in ihrem Original zu belassen und bei der Witwe Uí Shomacháin wirkt das ganz charmant, der Croagh Patrick hingegen führt zu einem veritablen, erst durch die Notizen zum Endes des Buches aufgelösten, Stolper. Hätte man sicherlich auch eleganter lösen können.

Viel entscheidender als diese etwas sperrigen Einzelfälle, ist aber der Text im Ganzen, der unnötig kompliziert ist. Oft wirkt dadurch der Text bemüht, wenn etwa «Kettensträflinge» als Vergleich herbeigezogen werden. Auch Lektoratsfehler finden sich immer wieder. An einer für den restlichen Verlauf des Buches zentralen Stelle wird N. von einem Taschendieb die Brieftasche gestohlen. Im Roman umschrieben mit «[Der Dieb] riss ihm die Brieftasche mehr oder weniger aus der Hand». Eine schöne Stilblüte, der arme N. wird dem Dieb vor lauter Überrumpelung ob der Situation, die noch bei ihm verbleibenden 30 % der Brieftasche wohl dann noch nachgeworfen haben. Gerade an einer Schlüsselstelle wie hier sollte so was nicht passieren, doch im ganzen Text finden sich leider immer wieder solche Fehler.

Nebst den Fehlern ist die Sprache altbacken, holprig und ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand 1970 so geschrieben hätte. Oder dass die irische Sprache dermassen altertümlich klingt, dass Übersetzungen aus ihr wie eine Bibelübersetzung aus Luthers Feder klingen. Schon fast kurios wird es, wenn das dann auf dem Klappentext als «sprachmächtig» bezeichnet wird. Ja, wenn man unter sprachmächtig versteht, dass der Text völlig zugeladen ist und in eigentümlich altertümlicher Sprache vor sich hin blubbert, dann ja, dann hat sich hier ein äusserst sprachmächtiges Werk hervorgetan. Laut Klappentext hat Denis Scheck über Ó Cadhain übrigens gesagt, dass er eine veritable Entdeckung sei. Das könnte stimmen. Aber garantiert nicht so. Und Denis Schecks Urteil glauben sowieso immer noch zu viele Menschen.

Asche des Tages von Máirtín Ó Cadhain

Máirtín Ó Cadhain: Asche des Tages.

Aus dem Irischen von Gabriele Haefs.

Originalveröffentlichung 1970.

160 Seiten.

Kröner.

Webseite zum Buch

Zum Buch: bedruckter Einband (Halbleinen) · farbiges Vorsatzpapier (braun) · Klebebindung

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