Böse Menschen?

Menschen wie Dirk von Julia Kohli

In Julia Kohlis Debüt waren es noch die Delphine, die böse waren. Nun scheint es, hat diese Bösartigkeit auf die Menschen übergeschlagen, porträtiert dieser Erzählband doch entweder intrigante, selbstverliebte und -absorbierte Ekelpakete oder dann diejenigen, die sich mit ihnen abgeben müssen.

Böse Menschen?

Diese Menschen heissen Dirk, Irina, Urs, Diana, Pierre, Samantha, Kurt. Schonungslos schaut die Erzählinstanz ihnen über die Schulter: Dirk hat ein schönes Tattoo auf seinem Unterschenkel und fickt in Mexico City eine «zapotekische Göttin». Irina ist an ihrem Arbeitsplatz den sabbernden Blicken ihres Chefs und den dummen Kommentaren ihrer Kollegen ausgesetzt. Urs ist furchtbar beleidigt, weil die Prostituierte beim Handjob kurz aufs Handy geschaut hat. Schliesslich ist auch Urs ein Mensch und verdient Achtung und Respekt. Diana verabscheut ihren pubertierenden Sohn. Pierre giert einer jungen Journalistin beim Urlaub in den Bergen nach. Die Ehekonflikte folgen in der nebligen Nacht. Flugbegleiterin Samantha hat irgendwann genug und rückt ihren Gästen mit dem Plastikmesser näher. Kurt ist ein mutiger Mann, einer der es wagt, zu denken.

Julia Kohli schreibt beissend, beinahe böse und ironisiert überzeichnend. In zynischer Schärfe bildet sie so prototypische Menschen nach, die, im Besonderen die Männer, mit dem neuen und sich wandelnden Geschlechterbild nicht mehr zurechtkommen. Die Männer straucheln selbstherrlich durchs Leben, nehmen sich furchtbar ernst und offenbaren sich dadurch der Lächerlichkeit, während ihnen die Frauen dieses Verhalten nicht mehr durchgehen lassen. Der Autorin gelingt es dabei aber, zwar zuzuspitzen und zu überhöhen, jedoch selten zu überzeichnen (ausser vielleicht bei Urs, der in seiner beleidigten Männlichkeit dann auch noch jedes Klischee erfüllen muss). Am besten zeigt sich dieser gelungene Seiltanz am Beispiel von Pierre, der als eine der einzigen Männerfiguren seinem Stockfotoverlangen gerade nicht nachgibt, seine Passivität in anderen Lebensbelangen aber teuer bezahlen wird.

Und damit sind wir auch schon nahe an der Moral der Geschichte: Der Kampf zwischen den Geschlechtern hier ist einer, der offen ausgetragen wird und bei dem schlussendlich alle als Verlierer*innen zurückbleiben. Ganz so einfach ist es eben nicht. Der Spagat zwischen Ironie und den darin aufgezeigten Probleme gelingt auch Kohlis Sprache wegen. Die Sätze muten zwar auf den ersten Blick einfach an, sind aber sehr sorgfältig gestaltet und komponiert und unterlaufen alles mit feinem Witz.

Die Sprache und Ambivalenz des Themas sind es auch, die diesen Band so wunderbar machen. Es wird zwar immer wieder mit voller Kanne draufgehauen aber Antworten lassen sich daraus nicht ableiten, die Dinge bleiben unbestimmt. Während sich die Figuren unfassbar ernst nehmen, tut der Erzählband dies eben gerade nicht. Wie man es von Julia Kohli gewohnt ist, erzählt sie leicht und mühelos, auf den zweiten Blick aber in sehr fein komponierter Sprache. Ein grosses Vergnügen.

Menschen wie Dirk von Julia Kohli

Julia Kohli: Menschen wie Dirk. Short Storys.

176 Seiten.

Lenos.

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Zum Buch: Schutzumschlag · bedruckter Einband (Karton) · Klebebindung

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